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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Der Volkskommissar für die innere Sicherheit, Lawrenti Berijà, forderte am 21. Juni in einem Brief an Stalin die Abberufung des sowjetischen Botschafters in Berlin, Wladimir Dekanosow, weil dieser Moskau mit Desinformationen versorge und soeben einen deutschen Überfall für den morgigen Tag angekündigt habe. Doch Berijà war entschlossen, sich nicht beirren zu lassen. Er vertraute wie alle anderen Sowjetführer dem überlegenen Urteil Stalins, und der war weiterhin davon überzeugt, daß Hitler sich nicht auf das Abenteuer eines Zweifrontenkrieges einlassen würde.
    Nachdem das, was nicht sein durfte, doch geschehen war, erging am frühen Vormittag des 22. Juni 1941 der Aufruf an die Rote Armee, sich dem Feind, wo immer er die sowjetische Grenze verletzt habe, entgegenzuwerfen und ihn zu vernichten. Die Wehrmacht aber schien unaufhaltsam zu sein: Am 28. Juni fiel Minsk in deutsche Hände; nach einer Woche waren die deutschen Truppen schon 500 Kilometer weit auf sowjetischem Gebiet vorgedrungen. Am 29. Juni erklärte das Zentralkomitee der KPdSU den Kampf gegen die faschistischen Aggressoren zum «Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion». Stalin, seit dem 1. Juli auch Vorsitzender des Verteidigungskomitees der Sowjetunion, rief am 3. Juli die Bevölkerung zum Partisanenkampf hinter der Front auf. Es war derselbe Tag, an dem der deutsche Generalstabschef Halder die Prognose wagte, der Krieg gegen Rußland könne schon innerhalb von zwei Wochen gewonnen werden.[ 7 ]
    Den Deutschen versuchte Hitler am 22. Juni 1941 in einer Rundfunkrede den Angriff auf die Sowjetunion als Notwehrreaktion darzustellen. Zu den erpresserischen und aggressiven Akten der Sowjetunion, die ihn zu diesem Schritt gezwungen hätten, rechnete Hitler nicht nur den Belgrader Staatsstreich vom 27. März, sondern auch denrasch niedergeschlagenen Umsturzversuch der faschistischen (bis dahin von Deutschland geförderten) «Eisernen Garde» gegen den «Conducator» von Rumänien, General Antonescu, Ende Januar 1941. Als Hauptgrund seines Vorgehens nannte der «Führer» die angeblich «inzwischen eingetretene Koalition zwischen England und Sowjetrußland». Nach dauernden Grenzverletzungen durch die Sowjetunion sei «nunmehr die Stunde gekommen, in der es notwendig wird, diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der ebenso jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten».
    Soweit sie keine eingefleischten Nationalisten waren, reagierten die meisten Deutschen zunächst bestürzt auf die neue Entwicklung, ließen sich dann aber bald von den militärischen Erfolgen der Wehrmacht beeindrucken. Unter den ersten, die dem Überfall auf die Sowjetunion Beifall spendeten, waren evangelische und katholische Kirchenmänner. Der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche, an seiner Spitze der hannoversche Landesbischof August Marahrens, dankte am 30. Juni Hitler dafür, daß er «unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur» aufgerufen habe. Die katholischen Bischöfe forderten die Gläubigen lediglich zu «treuer Pflichterfüllung, tapferem Ausharren, opferwilligem Arbeiten und Kämpfen im Dienste unseres Volkes» auf. Manche Kirchenfürsten gingen in den folgenden Monaten aber weiter. So begrüßte der Bischof von Eichstätt, Michael Rackl, den Rußlandfeldzug als einen «Kreuzzug, einen heiligen Krieg für Heimat und Volk, für Glauben und Kirche, für Christus und sein hochheiliges Kreuz».
    Ein Bekenntnis zum gerechten Krieg wider den gottlosen Bolschewismus legte auch Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster, ab. In einem Hirtenbrief vom 14. September 1941 nannte er es eine «Befreiung von einer ernsten Sorge und eine Lösung von schwerem Druck, daß der Führer und Reichskanzler» den «Russenpakt» für erloschen erklärt habe, und zitierte zustimmend Hitlers Wort von der «jüdisch-bolschewistischen Machthaberschaft in Moskau». Im gleichen Hirtenbrief übte der Bischof aber auch, und das nicht das erste Mal, scharfe Kritik am Nationalsozialismus. «Grauenhaft» nannte Galen die «Befolgung jener Lehre, die da behauptet, es sei erlaubt, ‹unproduktiven Menschen›, armen, schuldlosen Geisteskranken vorsätzlichdas Leben zu nehmen; einer Lehre, die grundsätzlich die gewaltsame Tötung aller als ‹unproduktiv› erklärten Menschen, der unheilbar

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