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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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vernichten können. Daß Roosevelt das genauso sah, konnte Stalin einer Botschaft des Präsidenten entnehmen, die Hopkins ihm überbrachte.
    Seinen Präsidenten sah Hopkins erst am 9. August wieder, als er, zusammen mit Churchill, auf der «Prince of Wales» in der Placentia Bay vor der Küste Neufundlands eintraf, wohin Roosevelt an Bord des Kreuzers «Augusta» gekommen war, um sich erstmals persönlich mit dem britischen Premierminister über die internationale Lage, das weitere Vorgehen der beiden angelsächsischen Mächte im Kampf mit den Aggressoren in Berlin, Rom und Tokio und die Umrisse der Nachkriegsordnung zu beraten. Die Unterstützung der Sowjetunion war eines der zu erörternden Themen, ebenso der militärische Schutz von britischen Schiffen im Atlantik und, mit am vordringlichsten, die Bedrohung durch Japan im Pazifik. Das für Churchill wichtigste Ergebnis war die (wenn auch erst verspätet eingelöste) Zusage Roosevelts, nicht nur amerikanischen und isländischen, sondern auch anderen Schiffen bis Island militärischen Geleitschutz zu gewähren. Den vom Premierminister gewünschten Kriegseintritt der USA konnte Roosevelt dagegen nicht versprechen. Churchill mußte sich mit der Ankündigung des Präsidenten begnügen, er werde nach einem «Zwischenfall» Ausschau halten, der die Eröffnung von Feindseligkeiten rechtfertigen könnte, und einstweilen Krieg führen, ohne ihn zu erklären.
    Für die Welt – und nicht zuletzt die amerikanische Öffentlichkeit – bestimmt war die Atlantikcharta, auf die Roosevelt und Churchill sicham 12. August verständigten und die sie zwei Tage später bekanntgaben. Die beiden Unterzeichner versicherten darin, daß sie keine territoriale oder sonstige Vergrößerung ihrer Länder und auch sonst keine Gebietsveränderungen erstrebten, die nicht dem frei geäußerten Willen der betroffenen Völker entsprächen. Sie drückten ihre Achtung vor dem Recht aller Völker aus, sich die Regierungsform, unter der sie leben wollten, selbst auszusuchen, und bekundeten ihren Willen zur Wiederherstellung der souveränen Rechte und der Selbstregierung aller, denen diese Rechte gewaltsam genommen worden waren. Sie unterstrichen, bei voller Achtung ihrer bestehenden Verpflichtungen (with due respect to their existing obligations), ihre Entschlossenheit, sich für einen gleichberechtigten Zugang aller Völker zum Handel und den Ressourcen der Welt einzusetzen, und bekannten sich zur wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zusammenarbeit aller Völker. Nach der endgültigen Zerstörung der nationalsozialistischen Tyrannei sollte ein Frieden geschlossen werden, der allen Völkern die Möglichkeit bot, in äußerer Sicherheit ein Leben frei von Furcht und Not zu führen, und den Grundsatz der Freiheit der Meere achte. Schließlich sollten die Nationen künftig gänzlich auf die Anwendung von Gewalt verzichten, weshalb Völker, die andere bedrohten, zu entwaffnen waren, und alle praktischen Maßnahmen gefördert werden sollten, die es den friedlichen Nationen ermöglichten, ihre drückenden Rüstungslasten loszuwerden.
    Im Ton und im Inhalt erinnerte die Atlantikcharta stark an Wilsons Vierzehn Punkte vom Januar 1918. Wie diese wollte das Manifest vom 14. August 1941 als Entwurf einer künftigen, besseren Weltordnung verstanden werden. Der Text war freilich auch ein Balanceakt. Widersprüche zwischen Prinzip und Praxis durften nicht allzu deutlich hervortreten. Da Unabhängigkeitskämpfer in Indien, Birma und Ceylon sich sogleich auf das von der Charta betonte Recht der nationalen Souveränität und der Selbstregierung beriefen, hielt Churchill es für notwendig, im Unterhaus zu erklären, daß sich die «souveränen Rechte» auf die unterworfenen Nationen Europas bezögen – ein Problem, das zu trennen sei von der Entwicklung von Organen der Selbstregierung im britischen Empire. Dem Willen Großbritanniens, an der zollpolitischen Privilegierung («Imperial Preference») von Mitgliedern des Commonwealth festzuhalten, trug der salvatorische Hinweis auf bestehende Verpflichtungen Rechnung.
    Dem bei den Treffen vor der Küste Neufundlands abwesenden Dritten im Bunde, dem sowjetischen Ministerpräsidenten Stalin, schickten Roosevelt und Churchill am 12. August eine herzlich gehaltene Grußbotschaft. Was immer beide von der Friedensliebe des Diktators in Moskau halten mochten, für den Augenblick mußte es dem Präsidenten und dem Premierminister vor allem darum gehen, an den Idealismus der

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