Geschichte des Westens
Art und gegen die Errichtung eines Judenreservats östlich der Weichsel zur Wehr setzte – und damit zunächst Erfolg hatte.
Frank kam zustatten, daß im Frühsommer 1940 ein anderer Vorschlag zur «territorialen» Lösung der «Judenfrage», und zwar diesmal in Übersee, in Umlauf kam und auch Himmlers Beifall fand. Anfang Juni 1940, als der Sieg über Frankreich kurz bevorstand, griff derJudenreferent des Auswärtigen Amtes, Franz Rademacher, eine Idee auf, die als erster der deutsche Antisemit Paul de Lagarde 1885 in die Debatte geworfen hatte und die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre vom polnischen Obristenregime aufgegriffen worden war: Die Juden (oder, wie Rademacher präzisierte, die «Westjuden») sollten nach Madagaskar, das zum französischen Kolonialreich gehörte, verbracht werden. Nachdem auch Hitler dem Gedanken zugestimmt hatte, legte im August 1940 das Reichssicherheitshauptamt einen eigenen Madagaskar-Plan vor, wonach die Insel vor der ostafrikanischen Küste zu einem Großghetto unter deutscher Oberhoheit werden sollte.
Die klimatischen Bedingungen und die fehlende Infrastruktur auf Madagaskar hätten freilich binnen kurzem zu einer physischen Teillösung der «Judenfrage», nämlich einem Massensterben, geführt. Aber nicht nur deshalb war der Madagaskar-Plan keine «echte» Alternative zur Tötung der Juden. Die Deportation von Millionen sollte auf englischen und französischen Schiffen erfolgen, war also ohne Friedensschluß mit Großbritannien nicht zu verwirklichen. Da sich diese Hauptvoraussetzung nicht erzwingen ließ, spielte das Projekt «Madagaskar» seit dem Spätjahr 1940 praktisch keine Rolle mehr.
Während die nationalsozialistische Führung erst die Lubliner, dann die madegassische Variante einer «territorialen» Lösung der «Judenfrage» erwog, wurden im Warthegau wie im Generalgouvernement die Juden in Ghettos zusammengefaßt und von der übrigen Bevölkerung isoliert. Die Lebensbedingungen in den Ghettos waren derart schlecht, daß dort bald ein Massensterben einsetzte, dem nach Schätzungen des Historikers Raul Hilberg mehr als 500.000 Juden zum Opfer fielen. Die Ghettos waren als Provisorien gedacht gewesen – als Durchgangsstationen auf dem Weg sei es in den Osten des Generalgouvernements, sei es nach Übersee. Als sich die Projekte «Lublin» und «Madagaskar» als Schimären erwiesen, versuchten die deutschen Behörden mancherorts, so in Lodz, den Ghettojuden durch Arbeitsbeschaffung für Rüstungszwecke ein primitives Überleben zu ermöglichen. Andere deutsche Autoritäten, darunter die im Warschauer Ghetto, wollten die Juden einfach verhungern lassen. Im April 1941 konnten sich die Befürworter der «Produktivität» gegenüber den Anwälten des «Aushungerns» durchsetzen – doch nur für kurze Zeit. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann ein neuer Abschnitt der nationalsozialistischen Judenpolitik: Das Schicksal der Juden im deutschenEinflußbereich war, rückblickend betrachtet, seit dem Augenblick besiegelt, in dem sich Hitler zur Vernichtung des «jüdischen Bolschewismus» entschlossen hatte.
Hitlers Entscheidung, die Sowjetunion anzugreifen, war im Dezember 1940 gefallen. Um dieselbe Zeit gab der «Führer» seinen Willen kund, «nach dem Kriege die Judenfrage innerhalb der von Deutschland beherrschten oder kontrollierten Teile Europas einer endgültigen Lösung» zuzuführen. Als Chef der Sicherheitspolizei und des SD erhielt Reinhard Heydrich laut einem Bericht des Judenreferenten der Gestapo in Paris, Theodor Dannecker, «vom Führer über den RF-SS bzw. durch den Reichsmarschall», also Himmler und Göring, den «Auftrag zur Vorlage eines Endlösungsprojektes». Am 21. Januar 1941, als Dannecker sein Schriftstück abfaßte, lag das «Projekt in seinen wesentlichen Zügen» Hitler und Göring bereits vor. Die weiteren Planungen sollten sich «sowohl auf die einer Gesamtabschiebung der Juden vorausgehenden Arbeiten als auch auf die Planung einer bis ins einzelne festgelegten Aussiedlungsaktion in dem noch zu bestimmenden Territorium erstrecken».
Spätestens seit März 1941 konzentrierten sich Heydrichs Überlegungen auf die Sowjetunion, und hier vor allem auf ein entferntes und besonders unwirtliches Gebiet: die Eismeerküste. Am 23. September 1941 sprach Heydrich Goebbels gegenüber davon, daß die Juden in die von den Bolschewisten angelegten Lager transportiert werden sollten. Eine längerfristige
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