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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Amerikaner zu appellieren und die Isolationisten moralisch in die Defensive zu drängen. Auf längere Sicht aber war die Atlantikcharta nicht mehr und nicht weniger als eine knappe Neufassung des normativen Projekts des Westens – eines Projekts, an dem sich die Nationen des Westens, an ihrer Spitze die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich, messen lassen mußten, wenn sie in der Nachkriegswelt glaubwürdig bleiben wollten. Auf dem Papier bekannten sich bis 1945 noch 43 weitere Staaten, die Deutschland den Krieg erklärt hatten, darunter die Sowjetunion und China, zu den Grundsätzen vom August 1941. Es war Roosevelt, der diesen Staaten am 1. Januar 1942, anläßlich der amerikanisch-britischen «Arcadia»-Konferenz in Washington, den zukunftsweisenden Namen gab: die «Vereinten Nationen».
    An Zwischenfällen, die geeignet waren, das deutsch-amerikanische Verhältnis weiter zu verschlechtern, war im Herbst 1941 kein Mangel. Am 5. September erklärte Präsident Roosevelt, tags zuvor sei ein amerikanischer Zerstörer, die «Greer», von einem deutschen U-Boot angegriffen worden. Tatsächlich war die «U 652» südlich von Island von der «Greer», unterstützt von britischen Flugzeugen und einem britischen Zerstörer, mehrere Stunden lang verfolgt worden, ehe sie Torpedos auf das amerikanische Schiff abschoß, die dieses aber nicht trafen. Nichtsdestoweniger nahm Roosevelt den Vorfall zum Anlaß für seinen «Shoot-on-sight»-Befehl vom 11. September: Fortan mußte die Flotte auf U-Boote der Achsenmächte schießen, sobald sie ihrer in Gewässern ansichtig wurde, die für die Verteidigung der USA wichtig waren.
    Ernster verlief am 16. Oktober ein anderer Zwischenfall: In Gewässern nahe Island wurde ein amerikanischer Zerstörer, die «Kearney», von einem deutschen U-Boot angegriffen, wobei 11 Matrosen umkamen. Tags darauf stimmte das Repräsentantenhaus der von der Regierung beantragten Bewaffnung amerikanischer Frachter zu, deren Ziel Großbritannien war, und schwächte damit das Neutralitätsgesetz vom November 1939 ab. Eine weitere Änderung des Gesetzes, die denAusschluß amerikanischer Schiffe aus deklarierten Kampfzonen aufhob, wurde Anfang November mit knappen Mehrheiten verabschiedet. Vorausgegangen war am 31. Oktober der bisher schwerste deutschamerikanische Zusammenstoß: die Versenkung des Zerstörers «Reuben James», 600 Seemeilen westlich von Irland, durch Torpedos eines deutschen U-Bootes. 115 Mann kamen dabei ums Leben.
    Die Presse und die öffentliche Meinung der USA waren mittlerweile deutlich weniger isolationistisch gestimmt als zu Kriegsbeginn. 50 Prozent der Befragten hielten einer Meinungsumfrage von Anfang Oktober zufolge die Niederwerfung des nationalsozialistischen Deutschland für wichtiger als die amerikanische Neutralität. Wachsende Sympathie gab es auch, ungeachtet einer starken antikommunistischen Stimmung, für eine Unterstützung der Sowjetunion durch Lieferungen im Rahmen des Lend-Lease Act vom März 1941, zumal viele Amerikaner glaubten, daß auf diese Weise ein Kriegseintritt ihres Landes vermieden oder zumindest hinausgeschoben werden könne. Als Bedrohung galt in erster Linie das Deutschland Adolf Hitlers, nicht das japanische Kaiserreich. Nachdem es amerikanischen Experten gelungen war, den verschlüsselten Funkverkehr zwischen Tokio und der japanischen Botschaft in Washington zu dechiffrieren («Magic» war der Name der entsprechenden Maschine), glaubten sich die amerikanischen Militärs vor japanischen Überraschungsangriffen einigermaßen sicher.
    Am 26. November teilte Außenminister Cordell Hull dem japanischen Botschafter Nomura die amerikanischen Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen beiden Ländern mit. Im Mittelpunkt standen der Rückzug der japanischen Truppen aus China und Indochina, der Verzicht auf alle exterritorialen Rechte Japans in China, die Anerkennung der Regierung Tschiang Kai-schek als einziger legitimer Vertretung Chinas und die Außerkraftsetzung des Dreimächtepakts. Tokio sah in diesem Katalog nicht nur eine Zurückweisung seiner eigenen Vorschläge für einen «modus vivendi», sondern ein amerikanisches Ultimatum. Am 1. Dezember beschloß eine Kaiserliche Konferenz, daß die Antwort darauf nur der Krieg sein konnte.
    Mit einem japanischen Angriff rechnete um diese Zeit auch Washington. Allerdings vermuteten die amerikanischen Militärs, daß dessen Ziel eher Malaya, Thailand oder die Philippinen,

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