Geschichte des Westens
der KPdSU den Höhepunkt erreichte, befahl Stalin dem NKWD, die in Moskau verbliebenen Verwandten von «Volksfeinden» nach Kuibyschew zu bringen und dort zu erschießen. In Stalino zwangen die Tschekisten die Gefangenen kurz vor der Einnahme der Stadt durch die Deutschen, ihre eigenen Gräber auszuheben, bevor sie erschossen wurden. Im Donezbecken kamen Arbeiter schon deshalb vor ein Exekutionskommando, weil sie das Regime oder die Versorgungslage kritisiert hatten.
Der Terror gegenüber der Zivilbevölkerung wurde in den Schatten gestellt durch den Terror, von dem die Rotarmisten tagtäglich bedroht waren. Zu seinen ersten Opfern gehörten der Oberbefehlshaber der Westfront, General Dimitrij Pawlow, und drei Generäle seines Stabes. Sie wurden nach dem Fall von Minsk am 4. Juli 1941 verhaftet, einer«antisowjetischen Militärverschwörung» beschuldigt, zum Tode verurteilt und am 22. Juli erschossen. Am 16. August 1941 erließ Stalin den «Befehl Nr. 00270», wonach eingekesselte Truppen bis zum letzten möglichen Augenblick kämpfen beziehungsweise sich zu den Ihren durchschlagen mußten. Jene, die bereit waren, sich in Kriegsgefangenschaft zu begeben, sollten mit allen Mitteln vernichtet werden. Die Familien von Rotarmisten, die sich in Gefangenschaft begaben, erhielten keinerlei staatliche Unterstützung und Hilfsmittel.
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1,5 Millionen Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten; bis zum Ende des Jahre 1941 wuchs ihre Zahl auf 3,8 Millionen an. Nach späteren Erhebungen wurden während des Krieges 994.000 Männer und Frauen von Militärgerichten verurteilt und 157.000 von ihnen als Deserteure oder Fahnenflüchtige oder wegen anderer Delikte erschossen. 400.000 Soldaten wurden, weil sie aus einem Kessel ausgebrochen oder aus einem Kriegsgefangenenlager geflohen waren, in Strafbataillone geschickt. In solche Bataillone kamen auch viele der von der Roten Armee befreiten Kriegsgefangenen. Die 1,5 Millionen Angehörigen der Strafbataillone wurden in die gefährlichsten Frontabschnitte beordert, wo sie meist sofort im feindlichen Feuer fielen.
Stalins unerbittlicher Härte fiel auch sein eigener Sohn Jakov zum Opfer: Der Diktator verstieß ihn, als er im Juli 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, als Feigling und Verräter und lehnte ein deutsches Angebot ab, ihn gegen deutsche Generäle auszutauschen. Jakov Dschugaschwili starb im April 1943 im Konzentrationslager Sachsenhausen, wahrscheinlich durch Selbstmord. «Die Rote Armee kannte keinen Rückzug», urteilt Jörg Baberowski. «Ihre Soldaten hatten die Wahl, von den Deutschen erschossen oder gefangengenommen oder von NKWD-Kommandos getötet zu werden. Sie entschlossen sich deshalb gewöhnlich dazu, den Angriff fortzusetzen, der ihnen die größere Überlebenschance gab als der Rückzug.»[ 16 ]
Besatzung, Kollaboration, Widerstand (I):
Ostmittel-, Südost- und Nordwesteuropa
Gegner des Kommunismus, die zur Zusammenarbeit mit den Deutschen bereit waren, gab es in den von der Wehrmacht eroberten Teilen im Westen der Sowjetunion, zumal unter den nichtrussischen Nationalitäten, viele. Einer Partnerschaft mit den vermeintlichen «Befreiern» stand aber nicht nur der Rassendünkel der Nationalsozialisten entgegen, sondern auch die feste Entschlossenheit der deutschen Führung, den Krieg zur Gewinnung von Lebensraum im Osten zu führen.
Daraus folgte, daß die slawische Bevölkerung zu weichen hatte, damit deutsche Bauern und Handwerker im Schutz der deutschen Waffen das eroberte Gebiet zum Nutzen des Reiches kolonisieren konnten. Nur wenn sie sich den neuen Herren bedingungslos unterwarfen und Sklavenarbeit für sie verrichteten, hatten die Ostvölker noch eine Überlebenschance. Sogenannte «überzählige Esser» waren zum Tod durch Verhungern verurteilt – ein Schicksal, das auch einem Großteil der insgesamt 5 Millionen der sowjetischen Kriegsgefangenen bestimmt war, von denen nur etwa über 1 Million den Krieg überlebte. Das Land, das die Einheimischen bisher bewirtschaftet hatten, sollte künftig die Deutschen ernähren; seine Bodenschätze standen nur ihnen zu und niemandem sonst. Himmler brachte die «Philosophie», die hinter dem Lebensraumkrieg stand, im August 1942 nach einer Reise nach Kiew auf die knappe Formel, «daß man die soziale Frage nur dadurch lösen kann, daß man die anderen totschlägt, damit man ihre Äcker bekommt.»
Die praktische Umsetzung solcher Vorgaben oblag den
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