Geschichte des Westens
Jubel, den der Machtwechsel vom 25. Juli auf den Straßen vieler italienischer Städte auslöste, galt nicht ihm, sondern der Annahme, daß es nun bald zu einem Friedensschluß mit den Alliierten kommen werde.
Wo die Demonstrationen und Streiks nach Einschätzung der Behörden ein vernünftiges Maß überschritten, wurden sie, so etwa in Reggio Emilia und in Bari, von der Polizei blutig unterdrückt. Zwischen dem 25. Juli und dem 8. September 1943 wurden bei Zusammenstößen zwischen der Staatsgewalt und der Bevölkerung in ganz Italien 105 Menschen getötet, 572 verletzt und 2455 verhaftet. An der antisemitischen Gesetzgebung der Faschisten änderte die neue Regierung nichts. Sie begnügte sich damit, die faschistische Partei, den Gran Consiglio und den politischen Sondergerichtshof aufzulösen und die Miliz in die Armee einzugliedern. Den deutschen Verbündeten versuchte Marschall Badoglio noch am 25. Juli mit der öffentlichen Feststellung zu beruhigen, daß der Krieg weitergehe und daß Italien sich an das gegebene Wort halte.
Das war eine Versicherung, der Hitler keinen Glauben schenkte und die auch nicht den Tatsachen entsprach. Während Badoglio offiziell dieDeutschen noch für ein einvernehmliches Ausscheiden Italiens aus dem Krieg zu gewinnen versuchte, ließ er insgeheim in Lissabon Kontakte mit den westlichen Alliierten aufnehmen. Diese setzten sich dadurch, daß sie überhaupt mit Italien verhandelten, über eine Vereinbarung vom 1. Januar 1942 hinweg, in der sich alle am Kampf gegen die Achsenmächte beteiligten Staaten verpflichtet hatten, keinen Sonderwaffenstillstand zu schließen. Amerikaner und Briten bestanden aber, entsprechend der im Januar 1943 in Casablanca vereinbarten Formel, auf einer bedingungslosen Kapitulation Italiens – einer Forderung, gegen die sich die Regierung Badoglio wochenlang sträubte. Am 3. September schließlich wurde in Cassibile auf Sizilien ein geheimer Waffenstillstand unterzeichnet, über den die Regierung nicht einmal die eigenen Truppen informierte. Am gleichen Tag landeten zwei britische Divisionen in Kalabrien. Am 8. September machte General Eisenhower als Oberbefehlshaber der Alliierten den Waffenstillstand publik. Tags darauf landeten amerikanische Truppen bei Tarent und Salerno.
Zum Zeitpunkt des Staatsstreichs hatten deutsche Truppen in Sizilien gestanden, wo sie gegen die Alliierten kämpften, außerdem in Kalabrien und Sardinien, wo sie die «Zweite Front» aufbauen sollten, und, zwecks Verteidigung des Golfs von Genua, in Mittelitalien. Nach dem Umsturz in Rom ließ Hitler die militärische Präsenz des Reiches in Italien massiv verstärken. In der Hauptstadt nicht mehr sicher, flüchteten der König und die Regierung Badoglio am 9. September, dem Tag nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes, überstürzt über Pescara nach Brindisi, wo sie sich unter den Schutz der dort landenden Alliierten stellten. Die Deutschen sprachen von «Verrat» und besetzten am 10. September Rom, das am 31. Juli zur «Offenen Stadt» erklärt worden war.
Zwei Tage später, am 12. September, gelang es einem deutschen Fallschirmjägerverband, Mussolini aus der Haft auf dem Gran Sasso zu befreien. Der «Duce» wurde noch am gleichen Tag auf Befehl Hitlers nach Wien geflogen. Am 13. September traf er mit Hitler in dessen Führerhauptquartier in Rastenburg zusammen. Seine künftige Aufgabe wies ihm der «Führer» zu: Er sollte an die Spitze der «Faschistischen Nationalregierung» treten, die einige Radikalfaschisten, darunter Roberto Farinacci, auf Geheiß der Deutschen hin in der Nacht vom 8. zum 9. September gebildet hatten. Mussolini hielt den Begriff «faschistisch» inzwischen für so wenig werbewirksam, daß er in dem von ihm gewähltenStaatsnamen «Repubblica Sociale Italiana» (RSI) ganz auf ihn verzichtete. Ihren Sitz nahm die Regierung des republikanischen Faschismus in der kleinen Stadt Salò am Gardasee, was dazu führte, daß das zweite faschistische Staatswesen Italiens als «Repubblica di Salò» in die Geschichte einging.
Wo immer in Europa im Frühherbst 1943 noch italienische Truppen standen, wurden sie nach dem Waffenstillstand von den Deutschen als Verräter und als feindliche Streitkräfte betrachtet und entwaffnet. Etwa 500.000 davon betroffene königlich-italienische Soldaten mußten fortan als Kriegsgefangene in Deutschland oder in den besetzten Ostgebieten Zwangsarbeit für das Reich verrichten. Auf dem Balkan und besonders in
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