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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Sizilien und dem Zusammenbruch des Faschismus in Italien nicht mehr an den «Endsieg» glaubten, hatten sie doch dem «Führer» zu lange zugejubelt, um jetzt, wo es um das Reich immer schlechter bestellt war, noch glaubwürdig mit ihm brechen zu können. Die alliierte Parole von der «bedingungslosen Kapitulation» hatte Fatalismus auf breiter Front erzeugt: Von den fanatischen Nationalsozialisten abgesehen, dürften die meisten Deutschen seit 1943 mit einer Niederlage des Reiches gerechnet – und sie doch einem Schrecken ohne Ende vorgezogen haben.[ 21 ]
20. Juli 1944:
Deutscher Widerstand gegen Hitler
    Neben den überzeugten Nationalsozialisten und den zwischen Führerkult und Fatalismus schwankenden «Volksgenossen» gab es auch noch andere Deutsche: die Minderheit der entschiedenen Gegner Hitlers. Soweit ihre Gegnerschaft zu aktivem Widerstand führte, unterschieden sie sich von den Widerstandsbewegungen anderer Länder dadurch, daß sie nicht gegen eine fremde oder eine vom äußeren Feind eingesetzte Regierung, sondern gegen die eigene Regierung kämpften. Während des Krieges auf den Sturz der eigenen Führung hinzuarbeiten hieß mit überkommenen Vorstellungen von nationaler Loyalität zu brechen: eine Konstellation, die viele und vor allem konservative Deutsche in einen schweren Gewissenskonflikt stürzte.
    Organisierter Widerstand gegen Hitler und sein Regime setzte, um wirksam werden zu können, eine gewisse Nähe zur Macht voraus: Dieses Paradox galt, seit die Nationalsozialisten sich eines festen Rückhalts in der Bevölkerung sicher sein konnten, also spätestens seit dem Sommer 1933. Dem Widerstand aus den Reihen der gespaltenen Arbeiterbewegung, dem zeitlich frühesten Widerstand, ging diese Voraussetzung ab. Der Macht nahe und doch mit dem innersten Machtkern nicht identisch waren hingegen jene Teile des höheren Offizierskorps und des hohen Beamtentums, die der nationalsozialistischen Ideologie gegenüber Distanz gewahrt oder sich wieder von ihr abgewandt hatten. Das erste traf für die älteren, das zweite für einige der Jüngeren unter den (im weitesten Sinn) konservativen Gegner Hitlers zu.
    Zu denen, die selbst Zugang zu Machtmitteln hatten, kamen andere, die über besondere Autorität und besonderes Fachwissen verfügten: der frühere Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, und der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler etwa; Theologen beider großen Konfessionen wie auf evangelischer Seite Dietrich Bonhoeffer und auf katholischer Seite der Jesuitenpater Alfred Delp; frühere sozialdemokratische Politiker wie Julius Leber, Carlo Mierendorff und Theodor Haubach; ehemalige Gewerkschaftsführer wie Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser, von denen der erste aus den Reihen der «Freien», der zweite aus denen der «Christen» kam. Die aktiven Offiziere, Diplomaten und Beamten, die sich zum Widerstandentschlossen hatten, bedurften des Sachverstands der Experten und der Verbindung zu den wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen; die Ratgeber und Planer waren, wenn sie etwas bewirken wollten, auf die Zusammenarbeit mit den oppositionellen Kräften im militärischen und zivilen Staatsapparat angewiesen.
    Politisch kam das Zweckbündnis der Hitler-Gegner einer Koalition gleich, die von den Sozialdemokraten bis zu den Deutschnationalen reichte. Auf dem rechten Flügel der Allianz gab es Anhänger eines autoritären Systems und überzeugte Monarchisten, auf dem linken Befürworter einer Einheitsgewerkschaft und einer Sozialisierung von Schlüsselindustrien. Was sie einte, war die Überzeugung, daß die Willkürherrschaft einem Rechtsstaat Platz machen mußte. Ein «Zurück nach Weimar» aber konnte die verbindende Klammer nicht sein. Wer, wie die Konservativen, der ersten deutschen Demokratie zu ihren Lebzeiten ablehnend gegenübergestanden hatte, tat das auch nach 1933. Aber auch von den einstigen Verteidigern der Republik hielt es keiner für verantwortbar, ein System wiederherzustellen, das nicht zuletzt an den Mängeln seiner eigenen Verfassung gescheitert war.
    Eine Synthese der gegensätzlichen Traditionen strebte der «Kreisauer Kreis» um den Juristen Helmuth James Graf von Moltke an. Im schlesischen Kreisau, Moltkes Gut, und in der Berliner Wohnung seines Freundes Peter Graf Yorck von Wartenburg, eines Regierungsrates beim Wirtschaftsstab Ost beim Oberkommando der Wehrmacht, dachten Konservative und Sozialisten über ein Nachkriegsdeutschland nach, in dem der Gegensatz zwischen

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