Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
das größte Zugeständnis, das die Sowjetunion sich von den USA abhandeln ließ.
    Hätten die Aufständischen triumphiert, wären aus Stalins Sicht die «falschen» Polen die Sieger gewesen: nicht «seine», sondern die Polen, die mit den Westalliierten sympathisierten. Deswegen sprach alles dafür, die Ausschaltung des aktivsten Teiles der Polen, mit deren künftiger Gegnerschaft er, Stalin, rechnen mußte, den Deutschen zu überlassen. War Hitlers Deutschland erst geschlagen, befand sich das «richtige» Polen, das des Lubliner Komitees, in einer sehr viel besseren Position als vor dem Warschauer Aufstand. Daß die Westalliierten das sowjetische Verhalten gegenüber der polnischen Erhebung als Schlag ins Gesicht empfinden mußten, nahm Stalin billigend in Kauf.
    Knapp eine Woche nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, am 9. Oktober, begann in Moskau eine britisch-sowjetische Konferenz, an der Churchill und Stalin sowie, als Beobachter, der amerikanische Botschafter Averell Harriman teilnahmen. Der zu den Beratungen zeitweilig hinzugezogene exilpolnische Regierungschef Mikolajczyk weigerte sich erneut, der von der Sowjetunion verlangten Anerkennung der Curzon-Linie als Ostgrenze Polens zuzustimmen und dem Lubliner Komitee, das gleichfalls auf der Konferenz vertreten war und mittlerweile in dem Gebiet zwischen Bug und Weichsel Exekutivfunktionen ausübte, die Mehrheit der Ministerposten in einem Nachkriegskabinett zuzugestehen. Da Churchill sich die sowjetischen Grenzforderungen, einschließlich der Odergrenze, zu eigen machte und Roosevelt, wenn auch erst nach seiner dritten Wiederwahl am 7. November 1944, in einer gewundenen Erklärung eine Gebietsgarantie für das unabhängige Polen ebenfalls ablehnte, erklärten Mikolajczyk und sein Exilkabinett am 24. November ihren Rücktritt. Neuer Ministerpräsident wurde der strikt antikommunistische Sozialist Tomasz Arciszewski. Auf der internationalen Bühne spielte die letzte polnische Exilregierung keine Rolle mehr. Der innerpolnische Gewinner der alliierten Politik waren das Lubliner Komitee und der gleichfallsmoskautreue Landesnationalrat, der schon am 9. September seinen Vorsitzenden, den Kommunisten Boleslaw Bierut, zum polnischen Staatspräsidenten ausgerufen hatte.
    Die Rote Armee war während der ersten Tage des Warschauer Aufstandes durch einen deutschen Gegenstoß nahe der Hauptstadt aufgehalten und auch weiter nördlich, im Vorfeld der ostpreußischen Grenze, von deutschen Verbänden zum Stehen gebracht worden. Am 20. August begann eine neue sowjetische Großoffensive an der rumänisch-deutschen Front. Wenige Tage später brach in der Slowakei, wo die Rote Armee inzwischen den Dukla-Paß in den Karpaten erreicht hatte, ein Aufstand gegen die Deutschen aus, der trotz der Unterstützung durch sowjetische Fallschirmspringer bis Anfang Oktober von der Wehrmacht niedergeworfen werden konnte. Am 13. Oktober mußte die deutsche Heeresgruppe Nord Riga räumen und sich nach Kurland zurückziehen, wo sie bald eingekesselt wurde, sich aber bis zum Mai 1945 behaupten konnte. Am 16. Oktober griffen sowjetische Truppen Ostpreußen an. Die Wehrmacht konnte zwar die meisten der von der Roten Armee eroberten Orte, darunter Goldap, bis Anfang November zurückerobern. Ein Teil der Ostfront aber verlief seit dem Herbst 1944 bereits auf dem Gebiet des Altreichs.
    Das für den Ausgang des Krieges entscheidende Ereignis des Jahres 1944 war die von Stalin seit 1942 dringlich geforderte, von den Briten und Amerikanern immer wieder hinausgeschobene Bildung einer zweiten Front in Frankreich: die Landung der westlichen Alliierten in der Normandie am 6. Juni. Hitler und die Wehrmachtsführung hatten mit einer entsprechenden Offensive der Amerikaner und Briten seit längerem gerechnet, wenn auch nicht dort, wo sie stattfand, sondern weiter nördlich, bei Pas-de-Calais, an der engsten Stelle des Ärmelkanals. Durch den systematisch ausgebauten «Atlantikwall» an der belgischen und französischen Küste mit seinen fast 15.000 Bunkern und beinahe 2700 Geschützen wähnten sich die Deutschen einigermaßen sicher; an die Möglichkeit einer erfolgreichen Invasion der Westmächte in Frankreich wollte der «Führer» jedenfalls nicht glauben.
    Die Anfang 1942 gebildeten Vereinigten Generalstäbe (Combined Chiefs of Staff) der USA und Großbritanniens hatten die Operation «Overlord», die Landung an der Küste der Normandie, schon für 1943 geplant, dann, entsprechend einer

Weitere Kostenlose Bücher