Geschichte des Westens
Nordiran stationierten sowjetischen Truppen und die von der kommunistischen Tudeh-Partei gesteuerte separatistische Bewegung in den iranischen Teilen von Aserbaidschan und Kurdistan, wo im Dezember 1945 autonome Republiken ausgerufen wurden. Erst nachdem Iran im März 1946 mit Unterstützung der USA und Großbritanniens das aggressive Vorgehen der Sowjetunion vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebracht hatte, versprach Moskau den Rückzug der sowjetischen Truppen innerhalb von sechs Wochen. Gleichzeitig erhöhte die Sowjetunion aber ihren Druck auf die Türkei. Sie verlangte von Ankara nicht nur eine Mitkontrolle über die Meerengen, sondern auch die Rückgabe der 1921 abgetretenen südkaukasischen Gebiete um Kars, Ardahan und Artvin und kündigte im März1946 den 1925 abgeschlossenen sowjetisch-türkischen Nichtangriffs- und Neutralitätspakt. Um seinen Forderungen militärischen Nachdruck zu verleihen, ordnete Stalin massive Truppenkonzentrationen an der Grenze zur Türkei an.
Die Zuspitzung des sowjetisch-türkischen Konflikts sollte im Sommer 1946 zu einer grundsätzlichen Umorientierung der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion führen und wesentlich zum Ausbruch des «Kalten Krieges» beitragen. Im Frühjahr 1946 aber konnte man von einem endgültigen Bruch zwischen West und Ost noch nicht sprechen. Die USA stellten die sowjetische Vorherrschaft in Ostmittel- und Südosteuropa nicht in Frage. Im Februar 1946 erkannte Washington nach langem Zögern die von der Sowjetunion eingesetzte Regierung Rumäniens an. In Sofia, Bukarest und Warschau hatten moskautreue Kommunisten zu dieser Zeit längst die Schlüsselstellungen im Regierungs- und Staatsapparat besetzt. In Budapest und Prag waren sie maßgeblich an der Regierung beteiligt. In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wurden unter massivem Druck der Besatzungsmacht im April 1946 die Kommunistische und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zusammengeschlossen, womit der Grund gelegt war für die Hegemonie der Kommunisten und die Gleichschaltung der übrigen Parteien. Churchill übertrieb nicht, als er im März 1946 in Fulton von einem «Eisernen Vorhang» sprach, der Europa in zwei Teile spaltete.
Die in Jalta gezogene Demarkationslinie trennte aber nicht einfach «Ost» und «West». Sie verlief vielmehr quer durch den alten Okzident hindurch. Zum neuen «Osten» gehörten nicht nur zwei byzantinisch-orthodox geprägte Länder, Bulgarien und Rumänien, sondern auch der lateinisch oder westkirchlich geprägte östliche Grenzraum des alten Okzidents mit dem Baltikum, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Der neue transatlantische «Westen» umschloß nicht nur Länder des Okzidents, sondern auch, nachdem der Bürgerkrieg 1949 mit einer Niederlage der Kommunisten geendet hatte, das orthodoxe Griechenland und die islamische Türkei. Die historischen Begriffe «Westen» und «Osten» wurden während des «Kalten Krieges» so sehr vom neuen Ost-West-Gegensatz überlagert, daß die ältere Wirklichkeit und Begrifflichkeit darüber immer mehr in Vergessenheit gerieten.
Rein europäische Weltmächte gab es seit 1945 nicht mehr. Die Weltmächte von 1945, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion, waren die Flügelmächte der Anti-Hitler-Koalition. Beiden fiel innerhalb ihres Einflußbereiches eine hegemoniale Position zu. Die ansatzweise «Bipolarität», wie sie sich 1945 herausformte, war aber vorerst eine asymmetrische. Solange nur einer der «Großen Zwei», die USA, Atomwaffen herstellen konnte, bedeutete das einen entscheidenden Machtvorsprung vor dem weltpolitischen Rivalen. Aber auch in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht waren die USA der Sowjetunion überlegen. Sie waren der neue Weltbankier und der Dollar die globale Leitwährung. Von einem «Gleichgewicht» zwischen den Vereinigten Staaten und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken konnte man daher in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht sprechen.
Die meisten europäischen Länder gehörten nach 1945 zur Einflußsphäre einer der beiden verbliebenen Weltmächte. Von der koreanischen Halbinsel abgesehen, standen die USA und die Sowjetunion nirgendwo einander so unmittelbar gegenüber wie auf dem «alten Kontinent». Aber Europa bildete nur einen kleinen Teil der Welt, und was europäische Mächte in anderen Kontinenten ihrer Herrschaft
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