Geschichte des Westens
Politik seit 1918 eine Zielgerichtetheit zu bescheinigen, die den vom Deutschen Reich entfesselten Weltkrieg unvermeidbar machte.
Weitet man den Rückblick über Europa auf Asien aus, so gibt es ebenfalls Gründe, ein Fragezeichen hinter die Auffassung zu setzen, nach dem Ersten Weltkrieg habe erst einmal zwei Jahrzehnte Friede geherrscht. Japan, der spätere Achsenpartner des nationalsozialistischen Deutschland, hatte bereits 1931 mit der Errichtung des Protektorats Mandschukuo begonnen, seine Machtsphäre gewaltsam auszuweiten; im Juli 1937 hatte es mit dem «Zwischenfall» an der Marco-Polo-Brücke in Peking den japanisch-chinesischen Krieg eröffnet, der Ende 1941 zu einem Teil des Zweiten Weltkriegs wurde. Deutschlands anderer Achsenpartner, Italien, hatte 1935 mit dem Einfall in Äthiopien einen Krieg begonnen, der mehr war als ein herkömmlicher Kolonialkrieg, nämlich ein rassisch motivierter Vernichtungskrieg und insoweit ein Vorgriff auf das, was die Welt nach 1939 in sehr viel größerem Maßstab erst im östlichen Mittel- und dann in Osteuropa erleben sollte. Auch der Spanische Bürgerkrieg trug, seit die Achsenmächte Deutschland und Italien auf der einen, die Sowjetunion auf der anderen Seite sich aktiv daran beteiligten, Züge eines Vorspiels zum Zweiten Weltkrieg. Erstmals prallten hier «Faschismus» und «Bolschewismus» militärisch aufeinander: die ideologischen Antipoden, die nur für kurze Zeit, im Zeichen des Hitler-Stalin-Pakts, miteinander kooperierten und sich dann, seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, auf Leben und Tod bekämpften.
Nach 1945 wurde das Wort vom zweiten Dreißigjährigen Krieg auch in der Geschichtswissenschaft aufgegriffen – am entschiedenstenund eindringlichsten von dem amerikanischen Historiker Arno J. Mayer in einem 1988 erschienenen Buch über die «Endlösung der Judenfrage», in dem er den Zweiten Weltkrieg als deutschen «Kreuzzug» gegen den jüdischen Bolschewismus interpretierte. Zwischen den beiden dreißigjährigen Kriegen, dem von 1618 bis 1648 und dem von 1914 bis 1945, gab es nach Mayer mehrere bedeutsame Übereinstimmungen. «Im Hinblick auf das internationale System ging es in beiden Fällen um den Anspruch einer Großmacht auf kontinentale Hegemonie, ein(en) Anspruch, dem sich beide Male eine ideologisch inhomogene militärische Koalition entgegenstellte. Richelieu und Gustav Adolf bildeten als Schirmherren des Kräftegleichgewichts ein ebenso unwahrscheinliches Paar wie später Winston Churchill und Josef Stalin. Im 17. Jahrhundert lag Mitteleuropa im Auge des Wirbelsturms, im 20. Osteuropa. In beiden Fällen nahm das Blutvergießen enorme Ausmaße an und fanden mehr Zivilisten als Soldaten den Tod … 1648 hatte die Tatsache, daß den hegemonialen und zentralistischen Ambitionen der Habsburger ein Riegel vorgeschoben wurde, zum Fortbestand des deutschen ‹Flickenteppichs› aus mehr als zweihundert praktisch selbständigen Territorialstaaten geführt, deren Fürsten nach dem Grundsatz
cuius regio, eius religio
(wessen die Herrschaft, dessen der Glaube, H. A. W.) regierten. 1945 führte der gescheiterte Versuch eines verspätet vereinigten Deutschland, sich zum Herrn über ganz Europa aufzuschwingen, zu seiner Teilung in zwei Rumpfstaaten mit ihrer jeweils eignen unveräußerlichen politischen Religion.»
Beide dreißigjährigen Kriege waren, so Mayer, «Perioden einer generellen Krise des gesellschaftlichen und politischen Systems, die zugleich Ursache und Folge eines totalen und ungeheuerlichen Krieges war, der die traditionellen Fundamente Europas erschütterte. Der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam die zweifelhafte Ehre zu, die blutigste und zerstörerischste Jahrhunderthälfte in der überlieferten Geschichte gewesen zu sein, bis sie darin von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst wurde … Während die allgemeine Krise und der dreißigjährige Krieg des 17. Jahrhunderts die Endphase des ideologischen Ringens zwischen Katholizismus und Protestantismus markierten, bildeten die allgemeine Krise und der dreißigjährige Krieg des 20. Jahrhunderts den Höhepunkt des ideologischen Kampfes zwischen Faschismus und Bolschewismus … Im 17. Jahrhundert ordnete Europa seinen globalen Herrschaftsbereich neu und erweiterte ihn zugleich;im 20. Jahrhundert büßte es seine globale Vormachtstellung und seine Kolonialreiche ein.»
Der Vergleich zwischen den ersten Hälften des 17. und des
Weitere Kostenlose Bücher