Geschichte des Westens
des Ersten Allgemeinen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, der vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin tagte. Von den 514 Abgesandten der örtlichen Räte neigten rund 300 der MSPD und etwa 100 der USPD zu; der Rest war linksliberal oder unabhängig. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten kein Mandat erhalten; ein Antrag, sie mit beratender Stimme teilnehmen zu lassen, wurde gleich zu Beginn der Tagung mit großer Mehrheit verworfen. In der maßgeblichen Frage fiel die Entscheidung am 19. Dezember. Mit 344 gegen 98 Stimmen sprachen sich die Delegierten gegen einen Antrag aus, die Verfassung der sozialistischen Republik auf das Rätesystem zu gründen. Mit etwa 400 zu 50 Stimmen wurde dagegen der Antrag angenommen, die Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 durchzuführen. Das war ein noch früherer Termin als der, auf den der Rat der Volksbeauftragten sich am 29. November verständigt hatte: der 16. Februar.
Bei zwei anderen Abstimmungen wurde deutlich, daß die Mehrheit des Kongresses links von der provisorischen Revolutionsregierung stand. Mit großer Mehrheit wurde der Rat der Volksbeauftragten aufgefordert, mit der Sozialisierung aller dafür reifen Industrien, vor allem des Bergbaus, zu beginnen. Einstimmig verabschiedeten die Delegierten die sogenannten «Hamburger Punkte», die die militärischeKommandogewalt zunächst dem Rat der Volksbeauftragten, dann dem noch zu wählenden Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte übertrug. Außerdem sollten die Rangabzeichen abgeschafft und die Offiziere von den Mannschaften gewählt werden. Über die Aufrechterhaltung der Disziplin hatten die Soldatenräte zu wachen; an die Stelle des stehenden Heeres sollte eine Volkswehr treten.
Die Hamburger Punkte waren eine Reaktion auf Versäumnisse der Volksbeauftragten. Gewiß mußten sie im Interesse einer zügigen Demobilmachung mit der Obersten Heeresleitung zusammenarbeiten, aber es war keineswegs notwendig, die militärische Führung zu einem gleichberechtigten Partner der Revolutionsregierung zu machen. Hätten die Volksbeauftragten gemäßigte Reformforderungen der Soldatenräte angenommen, etwa die nach Schließung der Offizierskasinos oder dem Wegfall des Grußzwangs außer Dienst, wäre es zur Verabschiedung der teilweise utopischen Hamburger Punkte vermutlich gar nicht erst gekommen. Eine republikanische Volkswehr zu schaffen wäre gewiß sehr schwer gewesen, da es den meisten Arbeitern zutiefst widerstrebte, notfalls auch auf putschende Klassenbrüder zu schießen. Aber es gab seitens des Rates der Volksbeauftragten auch keine Ansätze zur Schaffung einer republikloyalen Truppe, auf die manche jüngeren Offiziere im Umkreis des neugegründeten Republikanischen Führerbundes drängten. Die vom Rat der Volksbeauftragten erlassenen Ausführungsbestimmungen zu den Hamburger Punkten vom 19. Januar 1919 trugen bereits die Handschrift der OHL, und im Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr, das die Nationalversammlung am 6. März 1919 verabschiedete, waren nicht einmal mehr Spuren des militärischen Beschlusses des Rätekongresses zu entdecken.
Was die Sozialisierung anging, wollten die Mehrheitssozialdemokraten in der schwierigen Übergangszeit zwischen Kriegs- und Friedenswirtschaft ungeachtet ihres grundsätzlichen Bekenntnisses zum Gemeineigentum an den Produktionsmitteln nichts überstürzen und die Entscheidung über die künftigen Eigentumsverhältnisse der Konstituante überlassen. Hemmend wirkte auch die Befürchtung, die Alliierten könnten verstaatlichte Betriebe als Pfänder für ihre Reparationsforderungen betrachten. Als Ausweg aus dem Dilemma bot sich die Einsetzung einer Sozialisierungskommission aus sachverständigen Mitgliedern beider sozialdemokratischer Parteien und bürgerlichenExperten an. Einen entsprechenden Beschluß faßte der Rat der Volksbeauftragten am 18. November 1918. Damit war das Problem zunächst einmal vertagt. Als die von Karl Kautsky geleitete Kommission Mitte Februar 1919 ihren Bericht vorlegte, in dem sie mehrheitlich eine Vergesellschaftung des Kohlenbergbaus als wirtschaftlich und politisch notwendig bezeichnete, war die Nationalversammlung bereits gewählt. In ihr gab es keine Mehrheit für eine Politik, wie die Kommission sie empfahl.
Noch vorsichtiger als die Führung der MSPD waren die Freien (das heißt sozialdemokratischen) Gewerkschaften. Am 15. November schlossen sie mit den Spitzen der
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