Geschichte des Westens
Unternehmerschaft das «Stinnes-Legien-Abkommen», benannt nach den beiden Hauptakteuren, dem führenden Schwerindustriellen Hugo Stinnes und dem Vorsitzenden der Generalkommission der Freien Gewerkschaften, Carl Legien, über die Schaffung der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände Deutschlands. Ihre wichtigsten Vereinbarungen betrafen die wechselseitige Anerkennung als Tarifpartner, die Einführung des Achtstundentags als Normalarbeitstag, der freilich nur dann dauerhaft Bestand haben sollte, wenn alle Kulturländer dem deutschen Beispiel folgten, sowie die Bildung von Arbeiterausschüssen in allen Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten. Die Zentralarbeitsgemeinschaft entsprang einem gemeinsamen Interesse von Gewerkschaften und Unternehmerschaft: Beide wollten die Wirtschaft nicht dem Diktat des Staates unterwerfen; beiden lag aber auch daran, einer «wilden» Sozialisierung von unten zuvorzukommen. Einer Änderung der Eigentumsverhältnisse, wie sie die Mehrheit der Delegierten des Rätekongresses erstrebte, war damit zunächst einmal ein Riegel vorgeschoben.
Ein letzter, folgenschwerer Konflikt, der auf dem Rätekongreß ausgefochten wurde, betraf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und dem künftigen Zentralrat. Die Mehrheitssozialdemokraten stellten den Antrag, dem Rat der Volks beauftragten die gesetzgebende und vollziehende Gewalt und dem Zentralrat die Aufgabe der parlamentarischen Überwachung zu übertragen. Hugo Haase war damit grundsätzlich einverstanden: Dem Zentralrat sollten alle Gesetze vorgelegt, die wichtigeren von ihm beraten werden. Die Delegierten der USPD aber wollten mehr: Der Zentralrat sollte das volle Recht haben, Gesetzen vor ihrer Verkündigungzuzustimmen oder sie abzulehnen. Die MSPD sah dadurch die Handlungsfähigkeit des Rates der Volksbeauftragten bedroht und antwortete mit einem Ultimatum: Sollte der Antrag der Unabhängigen angenommen werden, würden die mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten, Staatssekretäre und preußischen Minister zurücktreten. Nachdem der Kongreß dem Begriff «parlamentarische Überwachung» im Sinne Haases zugestimmt hatte, setzte der äußerste linke Flügel der USPD in der Fraktion den Boykott der Wahlen zum Zentralrat durch. In den 27 Mitglieder umfassenden Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik wurden infolgedessen nur Mehrheitssozialdemokraten gewählt.
Die Volksbeauftragten der USPD hatten damit ihre Arbeitsgrundlage verloren. Zur formellen Aufkündigung der Koalition vom 10. November führten die «Berliner Weihnachtskämpfe», der dramatische Höhepunkt eines seit zwei Wochen schwelenden Konflikts um die Löhnung der «Volksmarinedivision», einer revolutionären Matrosentruppe, und des von ihr besetzten Stadtschlosses. Am 23. Dezember setzten die rebellierenden Matrosen die Regierung fest und «verhafteten» im Marstall Otto Wels, der das Amt des Berliner Stadtkommandanten innehatte. Die anschließenden blutigen Kämpfe um Schloß und Marstall endeten mit einer militärischen Niederlage der regulären Truppen und einer politischen Niederlage der Regierung. Die Volksbeauftragten der USPD beanstandeten zu Recht, daß ihre mehrheitssozialdemokratischen Kollegen dem von ihnen zu Hilfe gerufenen Kriegsminister eine Blankovollmacht gegeben (und damit das Leben von Wels aufs Spiel gesetzt) hatten. Als der Zentralrat am 28. Dezember das Verhalten Eberts und seiner Parteifreunde dennoch billigte, nahmen das Haase, Dittmann und Barth, die drei Vertreter der USPD, zum Anlaß, aus dem Rat der Volksbeauftragten auszuscheiden.
Zwei Tage später begann im preußischen Abgeordnetenhaus zu Berlin der Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die neue Partei bestand aus zwei Strömungen: der Spartakusgruppe, die bislang die extreme Linke der USPD gebildet hatte, und den Internationalen Kommunisten Deutschlands, hervorgegangen aus den Hamburger und Bremer Linksradikalen. Die Stimmung der Delegierten war äußerst radikal. Vergeblich versuchte Rosa Luxemburg, den Parteitag davon zu überzeugen, daß es sinnlos und gefährlich sei, einem Antrag zuzustimmen, der die KPD auf den Boykott der Wahlenzur Verfassunggebenden Nationalversammlung festlegte. Mit 62 gegen 23 Stimmen nahmen die Delegierten den Antrag an. An der antiparlamentarischen Stoßrichtung des Beschlusses gab es nichts zu deuteln. Der marxistische Historiker
Weitere Kostenlose Bücher