Geschichte des Westens
die Besetzer diese Brücke betreten hätten; ihre Gegenforderung, die Wiedereinsetzung Eichhorns, war unerfüllbar. Aber der Versuch wurde gar nicht erst gemacht, da sich die MSPD undam 7. Januar auch der Zentralrat dagegen aussprachen. Die Würfel für eine gewaltsame Lösung des Konflikts waren damit gefallen.
Am Ausgang konnte es, wie die Dinge lagen, keinen Zweifel geben. Am 11. Januar gaben die Besetzer des «Vorwärts» auf; am gleichen Tag nahmen Regierungstruppen auch die anderen besetzten Pressehäuser ein. Ebenfalls am 11. Januar begannen die auf Anweisung Noskes von der OHL aufgestellten und von General Lüttwitz befehligten Freikorps gegen Berlin aufzumarschieren. Einen zwingenden militärischen Grund für den Einzug dieser Verbände gab es nicht, da der Aufstand zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen bereits niedergeschlagen war. Aber Noske und die OHL wollten ein Exempel statuieren, um künftigen Umsturzversuchen vorzubeugen. Unter den ersten Opfern der Freikorps waren Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beiden prominentesten Mitglieder der Zentrale der KPD. Sie wurden am 15. Januar von Freikorpsoffizieren ermordet.
Der Berliner Januaraufstand war der Putschversuch einer radikalen Minderheit. Wäre er nicht niedergeworfen worden, hätte sich der Bürgerkrieg über ganz Deutschland ausgebreitet und eine Intervention der Alliierten ausgelöst. Für die Gewaltexzesse der Gegengewalt aber, die die Spaltung zwischen den gemäßigten und den radikalen Kräften in der deutschen Arbeiterbewegung zum Abgrund machte, gab es keine Rechtfertigung. Mehr als unumgänglich hatten sich die regierenden Mehrheitssozialdemokraten auf Freikorps gestützt, von denen die meisten nicht weniger zum Bürgerkrieg bereit waren als die Kommunisten. Den jungen Offizieren und Studenten, die in diesen Verbänden den Ton angaben, ging es nicht um die Rettung der Republik. Was sie antrieb, war Haß auf alles, was «links» stand. Den Krieg, den sie zuvor gegen äußere Feinde geführt hatten, im Innern fort zusetzen war aus ihrer Sicht nur folgerichtig. Schließlich war es die äußerste Linke, der sie die Hauptschuld an der deutschen Niederlage gaben.
Die Niederschlagung des Januaraufstands machte den Weg frei für die Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung. Außer den beiden sozialdemokratischen Parteien traten mehrere bürgerliche Parteien an. Die katholische Deutsche Zentrumspartei durfte hoffen, aus der Empörung Nutzen zu ziehen, die der preußische Kultusminister Adolph Hoffmann, ein Politiker der USPD, mit seiner radikal antikirchlichen Schulpolitik hervorgerufen hatte; die bisherige bayerischeZentrumspartei beteiligte sich als Bayerische Volkspartei (BVP) an der Wahl. Das Erbe der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei trat die Deutsche Demokratische Partei (DDP), das der weiter rechts stehenden Nationalliberalen Partei die Deutsche Volkspartei (DVP) unter ihrem Vorsitzenden Gustav Stresemann an, der im Krieg umfassende deutsche Annexionen gefordert hatte. Aus den beiden konservativen Parteien des Kaiserreichs, den Deutschkonservativen und den Freikonservativen, sowie den Antisemitenparteien entstand die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die sich entschiedener als die DVP zur Wiederherstellung der Monarchie bekannte. Unter den jüngeren Konservativen, zumal denen aus dem preußischen Adel, gab es freilich auch viele, die dem letzten Träger der Hohenzollernkrone verübelten, daß er für sein Kaiser- und Königtum nicht gekämpft, sondern sich am 10. November 1918 ins Exil nach Holland begeben hatte.
An den Wahlen vom 19. Januar 1919, bei denen erstmals auch alle Frauen, die mindestens 25 Jahre alt waren, zu den Urnen gehen durften, beteiligten sich 83 Prozent der Wahlberechtigten (1912 waren es 84,9 Prozent gewesen). Von der Einführung des Verhältniswahlrechts profitierte vor allem die MSPD. Mit 37,9 Prozent erreichte sie 3,1 Prozentpunkte mehr als die ungeteilte Sozialdemokratie sieben Jahre zuvor. Die USPD kam auf 7,6 Prozent. Von den bürgerlichen Parteien war die DDP mit 18,5 Prozent am erfolgreichsten; das waren 6,2 Prozentpunkte mehr, als die FVP 1912 erhalten hatte. Die beiden katholischen Parteien, Zentrum und BVP, erreichten zusammen 19,7 Prozent (auf das ungeteilte Zentrum waren 1912 16,4 Prozent entfallen). Die noch kaum organisierte DVP mußte sich mit 4,4 Prozent begnügen (gegenüber 13,6 Prozent für die Nationalliberalen bei der vorangegangenen Wahl). Auch die
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