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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Ausweg. Die Ansprache von Gettysburg? Irgendwas mit »87 Jahren« fiel mir ein, und ich wußte noch, daß sie das berühmte Wortspiel der »Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk« enthielt, aber das war auch schon alles. Mir war schleierhaft, wie die verschiedenen Teile zusammengehörten. Ich hatte das dumpfe Gefühl, daß die Ansprache von Gettysburg zu den Dingen gehörte, die jeder Amerikaner im Schlaf aufsagen konnte. Genauso wie den Text des »Star-Spangled Banner« und die Bedeutung des Begriffs »Notendurchschnitt«.
    »Mach schon, Bübchen«, sagte meine Mutter aufmunternd, »die hast du doch früher so schön gekonnt. Michael hat eine herrliche Stimme«, erläuterte sie den anderen.
    »Mein Gedächtnis ist nicht besonders gut …«, sagte ich heiser. »Wissen Sie, seit …«
    »Das macht nichts, Mike«, sagte Hubbard. »Sie können sie ablesen, wenn Ihnen das lieber ist. Sie steht hinter mir an der Wand. Sehen Sie?«
    Tatsächlich, über seinem Kopf stand in einem hellen Holzrahmen ein langer Text, auf dickes Büttenpapier aufgezogenund mit verschnörkelten Anfangsbuchstaben. Mir war klar, daß Hubbard nicht wissen wollte, ob ich mich an den Text der Rede erinnerte, sondern mit welchem Akzent ich lesen und wie das von meinen Eltern aufgenommen würde.
    Ach, was soll’s, dachte ich und legte los. Ich deklamierte ohne Verstellung, bemühte mich weder um amerikanische Vokale noch um amerikanische Satzmelodie. Nachdem ich einen Tag lang nur Amerikaner gehört hatte, klang ich sogar für meine eigenen Ohren mehr nach Hugh Grant als alles andere, aber inzwischen war mir das egal.
    »Vor 87 Jahren«, las ich vor, »brachten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation zustande, empfangen in Freiheit und der Maxime geweiht, daß alle Menschen gleich erschaffen sind. Jetzt sind wir in einen großen Bürgerkrieg verwickelt, eine Prüfung, ob diese Nation, oder irgendeine dergestalt empfangene und geweihte Nation, für lange dauern kann. Wir treffen uns auf einem großen Schlachtfeld dieses Krieges. Wir sind gekommen, einen Teil dieses Feldes zur letzten Ruhestatt für jene zu weihen, die hier ihr Leben gaben, auf daß diese Nation lebe. Es ist durchaus passend und angemessen, daß wir das tun. Aber in einem weiteren Sinne können wir diesen Boden nicht weihen – können wir ihn nicht einsegnen –, können wir ihn nicht heiligen. Die tapferen Männer, lebende und tote, die hier gestritten haben, haben ihn weit über unsere schwache Kraft dazuzutun oder wegzunehmen geweiht …«
    »Danke«, sagte Hubbard, »das genügt, Mike. Vielen Dank.«
    Er sah meine Mutter an, die Stielaugen machte, als hätte sie ein Gespenst gesehen. »Mike … Junge!« sagte sie und schlug die Hand vor den Mund. »Lies doch anständig! Wie früher immer. Bei den Paraden am 4. Juli. Lies doch anständig, Bübchen.«
    »Es tut mir leid, Mutter«, sagte ich. »So höre ich mich neuerdings an. Das ist meine Stimme. Das bin ich.«
    Auch mein Vater starrte mich an. »Michael«, sagte er, »wenn du das für witzig hältst, dann laß dir gefälligst gesagt sein …«
    »Nein, Sir«, sagte ich. »Das halte ich nicht für witzig.«
    Hubbard wirkte erleichtert, schaltete das Aufnahmegerät ein und spielte noch einmal Steves und mein Gespräch im Alchemist and Barrister ab.
    Während das Gerät lief, runzelte mein Vater die Stirn. Meine Mutter sah verständnislos zwischen uns hin und her.
    »Hitler, Pölzl, Braunau …« Hubbard schaltete den Rekorder ab und wiederholte eindringlich die Begriffe. »Oberst Young, Mrs. Young, Sie sagten, diese Namen hätten für Sie keine Bedeutung. Nach dieser Aufnahme zu urteilen, bedeuten sie Ihrem Sohn eine ganze Menge, finden Sie nicht auch?«
    Mein Vater zeigte auf den Rekorder. »Wer war der andere?«
    »Das war die Stimme eines Studenten namens Steven Burns. Er studiert im Junior Year Wissenschaftsgeschichte. Gegen ihn liegt nichts weiter vor. Allerdings steht er unter Homosexualitätsverdacht.«
    »
Ein Homosexueller?
« Die Augen meiner Mutter weiteten sich vor Entsetzen. »Steckt
das
in Wirklichkeit dahinter? Dann kann ich Ihnen versichern, Mr. Hubert –«
    »Ich heiße Hubbard, Ma’am.«
    »Das ist mir gleichgültig. Ich kann Ihnen versichern, daß mein Sohn kein Homosexueller ist. Absolut nicht.«
    »Natürlich nicht, Mrs. Young. Davon sind wir auch nie ausgegangen, glauben Sie mir. Uns interessiert vielmehr, was Ihr Sohn gesagt hat. Hitler, Pölzl, Braunau …«
    »Sie wiederholen

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