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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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bekäme. Unter diesen Umständen hätte er niemandem sein Interesse an empfängnisverhütenden Mitteln begründen können. Er hatte sich von den Vereinigten Staaten Forschungsfreiheit erhofft, eine Freiheit, die europäischen Wissenschaftlern versagt war. Diese Hoffnung war bitter enttäuscht worden. Im Gegenteil, Sicherheit und Geheimhaltung wurden hier noch strenger gehandhabt als in Cambridge.
    Dann war ich plötzlich des Weges gekommen. Und jetzt wollten wir gemeinsam die Welt verbessern, indem wir dafür sorgten, daß Adolf Hitler wuchs, blühte und gedieh.
    Über die Idee mit den Ratten hatte er zuerst gelacht. Genau wie Steve. Sie war so absurd.
    »Aber es muß einfach hinhauen!« hatte ich protestiert. »Was würdet ihr denn machen, wenn ihr eines Morgens an der Pumpe steht, und das Wasser ist voller Maden und Aasstücke und stinkt wie ’ne Klärgrube? Trinken würdet ihr das nicht, das steht mal fest. Ihr würdet die gesamte Zisterne auspumpen und desinfizieren. Ist doch bloß logisch.«
    Sie hatten auch keine bessere Idee, also waren die Ratten in Steves Objektivschachtel gewandert. Ihre schwärenden Kadaver zerfielen fast, als Steve mit zwei Pappstreifen an ihnen herumhantierte.
    Leo hatte Steve die Pappen abgenommen und die Sache zu Ende geführt. Er hatte den robustesten Magen.
    Jetzt beobachtete ich seine Arbeit: Er verschlang sein Werk mit den kobaltblauen Augen, die langen Finger flogen über die Apparaturen, und der hektische Körper erzitterte fast unter seiner ungeheuren Konzentration.
    Er mußte gespürt haben, daß ich ihn ansah, denn er hob den Kopf.
    »Es müßte klappen«, flüsterte er.
    »Sie brauchen noch die Koordinaten von Braunau«, sagte ich. »Ich fürchte …«
    »Glauben Sie, ich wüßte die nicht?«
    »Siebenundvierzig Grad, dreizehn Minuten, achtundzwanzig Sekunden Nord, zehn Grad, zweiundfünfzig Minuten, einunddreißig Sekunden Ost.«
    Er nickte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis. Sehen Sie hin: Sie haben es vor sich.«
    »Ich erinnere mich an noch etwas«, sagte ich. »Sie haben mir einmal erklärt, man wäre im Leben entweder eine Ratte oder eine Maus. Ratten täten Gutes oder Böses, indem sie den Lauf der Welt verändern. Mäuse täten Gutes oder Böses durch Nichtstun.«
    Er warf einen Blick auf den versilberten Objektivkasten. »Sehr treffend«, sagte er. »Sind Sie dann soweit? Es wird Zeit.«
    Die Plastikschläuche hinten an der Maschine pulsierten leuchtend rot. Über den Bildschirm waberten die Farben.
    »Das ist Braunau?« fragte ich.
    »Am 1. Juni. Vier Uhr früh.«
    »Die Farben sind anders als beim letztenmal.«
    »Das ist unwichtig«, antwortete er in dem leicht verächtlichen Ton, den Naturwissenschaftler unbedarften Laien vorbehalten.»Sie können den Elementen jede beliebige Farbe zuweisen.«
    »Was ist das da in den Schläuchen, was so rot leuchtet?«
    »Daten«, sagte er überrascht und etwas besorgt. »Das sind Daten. Ist das etwa anders als beim letzten Mal?«
    »Im wesentlichen genauso«, versicherte ich ihm. »Bloß die Drähte, die hinten rauskamen, waren anders.«
    »Wie sahen sie aus?«
    »Na ja, sie waren nicht durchsichtig, das ist alles. Die Daten wurden per Kupferdraht übertragen.«
    »Kupferdraht?« fragte er baß erstaunt. »Wie bei alten Telefonen? Aber das ist ja vorsintflutlich.«
    »Es hat funktioniert, oder?« sagte ich aus dem unlogischen Wunsch heraus, meine Welt zu verteidigen.
    Er sah auf den Schirm zurück. »Sollte es wirklich so einfach sein?« fragte er. »Ein Knopfdruck, und die Fabrik meines Vaters hat es nie gegeben?« Er strich über einen kleinen schwarzen Schalter unter dem Bildschirm.
    Ich hatte Leo verschwiegen, daß sein Vater in meiner alten Welt ebenfalls in Auschwitz gewesen war. Ich hatte Angst vor einem Nervenzusammenbruch, wenn er entdeckte, daß seine Eingriffe in die Geschichte die Verwicklung seines Vaters in die Judenvernichtung allem Anschein nach nicht verhindern konnten.
    Er wandte die Augen vom Schirm ab und zog zwei weiße Atemschutzmasken aus der Tasche. Er hielt sich die eine vor das Gesicht, streifte das Kopfband über und reichte mir die andere. Ich legte sie an, das Menthol stieg mir beißend in Nase und Lungen, und Tränen schossen mir in die Augen. Auch Leo mußte weinen. Er zwinkerte die Tränen fort und zeigte auf den Objektivkasten.
    Ich öffnete den Deckel, schluckte und sah hinein.
    Ein riesiges Insekt mit angezogenen Beinen flatterte heraus und flog mir ins Auge.
    Ich schrie entsetzt auf und

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