Geschichten aus der Müllerstraße
hinterher, und außerdem: »Jede Wette, dass Se das Ding im Leben nicht brauchen werden!«
Rund dreißig Stunden später torkelte ich auf der anderen Seite der Welt erschöpft aus dem Flugzeug und schleppte mich zum Schalter der Autovermietung. Ich legte dem Mann dahinter die Papiere vor, er nahm sie in die Hand. Den Internationalen Führerschein gab er mir direkt zurück: »Was ist das denn?«, fragte er freundlich, und ergänzte: »Das können Sie hier nicht brauchen.«
Hinark Husen
Ein sehr guter Kaffee
Nachts um drei an der Müller-/Ecke Utrechter Straße. Ich bin schon ziemlich k. o. Nur noch ab ins Bett. Werde von hinten angesprochen.
»Entschuldigung.«
Und natürlich kein Messer oder Pfefferspray dabei. Vor dreißig Jahren habe ich mal Judo in der Schule gemacht, aber ob ich das jetzt so ohne Weiteres abrufen kann, da bin ich mir nicht so sicher. Fallschule, ja das ginge wohl noch. Seitlich über die Schulter abrollen und dann auf der Matte abklatschen. Beim Abrollen fällt mir ein, dass da gar keine Matte liegt auf dem Bürgersteig, egal, auf das Abklatschen kann man verzichten. Vor dreißig Jahren war das einfacher mit der Fallschule. War ja nun eigentlich auch dazu gedacht, sich beim Wurf durch den Gegner nicht zu verletzen.
Aber ich bin ja gar nicht geworfen, ich bin nur angesprochen worden. Und zumindest einigermaßen professionell und schnell auf dem Boden angekommen.
»Hast du dir weh getan?«, dringt eine besorgte Stimme an mein Ohr.
»Ach, i wo«, entgegne ich, »habe nur ein bisschen Fallschule geübt, damit ich nicht aus der Übung komme.«
»Fallschule?«, fragt die junge Frau.
»Ja«, sage ich, »Judo, weißt du, braucht man für Judo.«
»Interessant!«, erwidert die schwarzhaarige Mittdreißigerin, »aber sollte man das nicht lieber auf einer Matte in einer Turnhalle trainieren?«
»Nachts um drei sind die Turnhallen wohl alle schon geschlossen«, entgegne ich geistesgegenwärtig.
»Das ist natürlich ein Argument«, sagt sie.
»Du hattest mich angesprochen, gibt’s irgendein Problem?«
»Nein, nein«, sagt sie, »aber möchtest du nicht vielleicht erst mal aufstehen?«
»Ach«, sage ich, »erzähl doch erst mal, ich überleg mir dann, ob es das Aufstehen lohnt oder nicht.«
»Machst du das eigentlich professionell?«
»Was, das Fallen?«
»Nein, Judo.«
»Nö, im Schulsport mal zwei Winterhalbjahre, orangener Gürtel. Am besten bin ich im Bodenrandori.«
»Randori?«
»Ja, das Fachwort für Bodenkampf.«
»Interessant.«
»Schon, aber ich müsste vielleicht mal wieder ein bisschen mehr trainieren.«
»Ach, das sah schon sehr professionell aus.«
»Danke, sehr lieb von dir.«
Ein Bekannter aus dem Stammcafé kommt an uns vorbei.
»Alles in Ordnung hier?«, fragt er leicht besorgt.
»Natürlich, wir unterhalten uns nur ein bisschen.«
»Im Liegen?«
»Na ja, nicht ganz, sie steht ja immerhin«, sage ich.
»Bist du gestürzt?« fragt er.
Jetzt mischt sich die Schwarzhaarige wieder ins Gespräch: »Er trainiert.«
»Er trainiert?«, fragt der Bekannte ungläubig, »was trainierst du denn im Liegen auf der Straße, Obdachlosigkeit, oder was?«
»Im Augenblick trainiere ich gar nichts.«
»Nun ja«, sagt mein Bekannter, »dann will ich euch nicht weiter stören.«
»Aber du störst nicht«, sagt die Schwarzhaarige, »eigentlich wollte ich ihm nur erzählen, dass ich einen sehr guten Kaffee koche.«
»Tatsächlich?«, sagt mein Bekannter, »du wolltest ihm nachts um halb drei erzählen, dass du eine gute Kaffeekocherin bist und daraufhin fällt er zu Boden?«
»So weit waren wir noch gar nicht gekommen«, sagt die Frau, »ich hab nur ›Entschuldigung‹ gesagt, da fing er schon an zu trainieren und das mit der Briefmarkensammlung finde ich einfach zu albern.«
»Du wolltest mich anmachen?«, frage ich, noch immer auf dem Boden liegend.
»Na ja«, sagt die durchaus attraktive Frau achselzuckend.
»Ich hätte übrigens nichts gegen einen Kaffee einzuwenden«, sagt mein Bekannter, »wie machst du ihn denn? Mit der Maschine?«
»Schraubkanne!«, sagt die Frau, »und ich wohne gleich um die Ecke.«
»Na, worauf warten wir dann noch?«, sagt mein Bekannter und die Frau antwortet: »Schon lustig, es kommt immer anders als man denkt.« Und dann gehen die beiden um die Ecke und wünschen mir noch ein schönes Training.
Ich bleibe noch ein bisschen liegen und denke über die Ungerechtigkeit der Welt nach. Vielleicht kommt ja noch jemand mit einem Kaffeeangebot
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