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Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
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Nebengebäude saniert wird, man quetscht sich zwischen den Gerüsten durch.
    Hin und wieder gibt es Wegweiser zum Kassenautomaten, an manchen Abbiegungen, aber selbstverständlich nicht an allen, sonst wäre es ja langweilig. Gehetzte, panische Menschen irrten durch die Gänge, denn bald war es zwölf, und dann war alles vorbei. Wäre ich irgend so ein schäbiger Comedy-Typ, der jeden billigen Lacher abgreift, würde ich jetzt erzählen, dass ich versehentlich in den falschen Gang eingebogen bin und da ein Skelett liegt von jemandem, der es nicht geschafft hat bis zum Automaten. Aber für solche Mätzchen hatte ich keine Zeit. Ich bog in einen weiteren Gang ein, hetzte dort entlang – und stieß auf ein Skelett von jemandem, der es nicht mehr geschafft hatte bis zum Automaten. Ach, Quatsch, da war er ja schon. Ich war bestens präpariert, fütterte den Automaten, hielt glückselig glucksend die ersehnte Quittung in den Händen und machte mich schleunigst auf den Rückweg.
    Zurück in der Schalterhalle hastete ich an Schreibtischen der Bürgeramtsmitarbeiter vorbei – jetzt fiel es mir auf: Jeder hatte ein kleines Radio. Und aus jedem klang ganz leise
Radio Paradiso
. Endlich kam ich bei meiner Sachbearbeiterin an, stolz legte ich ihr den Ausdruck auf den Tisch, fast meinte ich so etwas wie Anerkennung in ihrem Gesicht zu lesen, als sie mich freundlich begrüßte: »Ham Se noch Mittag jemacht zwischendurch, ja?«
    Fast wäre ich euphorisch geworden, da sagte sie es: »Aba ham Se mal auf die Uhr jekiekt? Jetzte ham wa fünf nach zwölf, da ist Feierabend, wa!«
    Meine gute Laune war mit einem Schlag dahin, fassungslos starrte ich sie an. Sie starrte zurück. Mir stiegen die Tränen in die Augen.
    Sie triumphierte: »Was mein’ Se denn, junger Mann, war doch nur ’n kleines Späßken! Glauben Se doch nicht immer gleich alles, was Se so hör’n!«
    Dann gab sie meine Daten in ihren Rechner ein, schaute konzentriert auf ihren Bildschirm und begann mit zunehmender Amplitude, ihren Kopf zu schütteln: »Mann, Mann, Mann, junger Mann«, hob sie an, »Mann, Mann, Mann.«
    Ich sah ängstlich zu ihr hinüber. Was würde denn jetzt kommen? »Mann, Mann, Mann«, sie schien es nicht glauben zu können, »Wissen Se was?« Sie machte eine Kunstpause, ich blickte furchtsam zu ihr.
    »Ihr Internationaler Führerschein ist doch noch gültig.«
    »Was?«
    »Na, Sie haben noch so ein Ding, wozu auch immer, und das ist noch gültig. Bis Juni.« Ich sah sie erschüttert an.
    »Aber«, zitterte ich, »ich habe keine Ahnung … Ich wusste ja nicht, dass … also, den hab ich nicht mehr. Der ist weg.«
    »Ja, wie jetzt? Das Ding müssen Se doch noch haben?«
    »Nein, echt«, ich spürte leichte Panik, »echt nicht. Stellen Sie mir doch einfach den neuen aus, ich hab ja auch schon bezahlt, ich brauche das Ding, wir fliegen morgen los.«
    »Hör’n Se mal!«
    Sie plusterte sich kräftig auf: »Was glauben Se denn, wo Se hier sind? Das is ’n amtliches Dokument, versteh’n Se? Da könn’ Se doch nicht einfach mit zwei von die Dinger rumlaufen, was meinen Se denn? Woll’n Se vielleicht auch gleich zwei Pässe ham, oder wie? Mann, so was könn’ Se doch nicht einfach verlieren! Da müssen Se doch drauf aufpassen! Wenn Se das nich’ mehr haben, dann müssen Se ’ne Verlustanzeige machen. Stellen Se sich vor, das kriegt jemand Falsches in die Hände! Ihren Internationalen Führerschein!«
    Ich sackte in mich zusammen. Jetzt war eh alles egal. »Ja und?«, fragte ich resigniert, »dann hat der halt meinen Internationalen Führerschein. Ist doch scheißegal, das Ding ist doch sowieso für nichts gut.«
    Die Sachbearbeiterin blickte auf und schaute mich scharf an. Au weia, dachte ich, jetzt explodiert sie. Ich duckte mich sicherheitshalber schon mal ein wenig. Es war ein Moment vollkommener Stille, nur ein kaum hörbarer Chor flötete irgendwas von
Radio Paradiso
.
    Sie schaute weiter ungerührt zu mir, dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Da ham Se allerdings recht. Das braucht wirklich kein Mensch, das Teil.«
    Dann nahm sie ein olivfarbenes Heftchen, tackerte mein Passbild hinein, machte einen Stempel drunter und drückte es mir in die Hand.
    »So, da hamses. Und jetzt ist mal Feierabend. Mann, Mann, Mann, hier is was los.«
    Verwirrt stand ich auf, steckte meinen neuen Internationalen Führerschein ein und machte mich auf den Weg zurück zur Müllerstraße, in die richtige Welt.
    »Schönen Urlaub noch, wa?«, rief sie mir

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