Geschlossene Gesellschaft
später stand ich im Heck des Tenders, der von der Leviathan wegfuhr. Der Ozeandampfer ragte schwarz über mir in die Nacht hinauf, seine beleuchteten Bullaugen beobachteten meine Abreise wie Hunderte starrer Augen. Ob Diana hinter einem dieser schimmernden Kreise aus Gold stand und beobachtete, wie ich abfuhr? Ich wusste es nicht. Und auch sie würde, falls sie herabschaute, die eingemummte Gestalt nicht ausmachen können, die aus der winzigen Nussschale, die sie davontrug, zu ihr hochschaute. Was jeder von uns sah oder glaubte, blieb für den anderen genauso dunkel wie an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal getroffen hatten. Und jetzt war es zu spät, etwas zu ändern. Ich würde den nächsten Zug nach Paris besteigen, während sie nach New York weiterfuhr. Und die Tangenten unserer getrennten Schicksale würden mit immer größerer Geschwindigkeit auseinanderlaufen. Um sich niemals wiederzutreffen.
Epilog
Die Wochen nach meiner Flucht aus England waren geprägt von Nomadentum und Ziellosigkeit. Die Wahrheit, die sie enthüllten, war ebenso unwillkommen wie vorhersagbar. Meine lange Partnerschaft mit Max - und unser bequemes Arrangement mit den Babcocks - hatte meinen Appetit auf das selbstgenügsame Wanderleben eines Betrügers untergraben. Meine Instinkte waren zwar noch da, aber meine Reaktionen waren verdächtig. Einsamkeit und Fehlbarkeit zehrten an meinen Nerven. Meine Finanzen schmolzen dahin. Meine Aussichten verschlechterten sich. Und meine Zuversicht nahm ab. Dann begann die Erinnerung eine Macht über mich zu gewinnen, die sie nie zuvor gehabt hatte. Sie trieb mich zurück nach Venedig, in eine leere Villa auf dem Lido und zu einem vernachlässigten Grab auf der Isola San Michele. Zur Jahreswende lungerte ich immer noch in der nebelverhüllten Stadt herum, fuhr am Tag mit den Vaporetti und versuchte nachts vergeblich mein Glück im Casino. Ich wusste, dass ich hätte gehen sollen, aber ich wusste nicht, wohin. Und den toten Max zu verlassen kam mir schwieriger vor, als den lebenden zu betrügen.
Mitte Januar wurde mein Aufenthalt in Venedig durch eine Begegnung mit Francesco Contanari im Casino verändert. Er war ein wohlhabender Geschäftsmann, der mit byzantinischen Antiquitäten handelte. Natürlich war er genauso wenig Spross einer alten venezianischen Adelsfamilie wie ich finanziell unabhängiger Gentleman. Nachdem wir Verstellungen und Geziertheiten ad acta gelegt hatten, erkannten wir uns als Biester desselben Schlags. Francescos Antiquitäten waren so echt wie sein Stammbaum. Er suchte einen Assistenten, der seine objets d'art ancien bei einem dubiosen Hersteller in Istanbul abholte und als kenntnisreicher Sammler auftrat, wenn ein Kunde den Ansporn eines konkurrierenden Rivalen brauchte, der sein Interesse an einer Ikone aus dem 13. Jahrhundert in ein Angebot in barem Geld verwandelte. Ich ließ mich von Contanari rekrutieren, und so begann eine Zusammenarbeit, die, wenn sie schon meinen Schmerz nicht bannen konnte, doch wenigstens meine Kosten deckte.
Aber die Sache sollte nicht so lange dauern, wie sie lukrativ war. Ein Telegramm von Francescos Geliebter und Sekretärin, deren Charme ich bei einer Gelegenheit nicht hatte widerstehen können, erreichte mich Ende April in Istanbul. Sie warnte mich, dass man Francesco in Rom verhaftet habe, nachdem er eine Schwertscheide, die angeblich von Kaiser Andronikos Komnenos getragen worden war, an einen engen Freund Mussolinis verkauft hatte. Ich konnte nicht nach Venedig zurückkehren.
Aber wohin sollte ich stattdessen gehen? Ich fuhr einige Tage lang durch Bulgarien und Jugoslawien, die Taschen voller Geld, aber ohne Ziel vor Augen. In Sarajevo machte ich für ein paar Tage halt. Die Stadt lag heiter und absurd hübsch in einer Senke zwischen grünen Hügeln, auf denen Pflaumenbäume blühten und auf die die Frühlingssonne herab schien. Ich besuchte den Empfangsraum im Rathaus, in dem Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau am Sonntag, dem 28. Juni 1914, gespeist hatten. Dann ging ich den Appelkai entlang zu genau der Stelle, an der sie am Nachmittag erschossen worden waren, noch bevor sie ihr Essen verdaut hatten. Der falsche Weg der Kutsche, der Fabian Charnwoods Apotheose geworden war. Und ich traf in einem Cafe einen alten Mann, der die Ereignisse dieses Tages genauer heraufbeschwor, als er sie hatte kennen können. »Nichts wurde gesagt. Niemandem wurde etwas gesagt. Aber wir wussten, dass er in den Tod ging. In Sarajevo warteten mehr
Weitere Kostenlose Bücher