Geschlossene Gesellschaft
Sie?«
»Ich... ich weiß es nicht.« Er schaute mich flehend an. »Ich kann Sie jetzt natürlich nicht bezahlen. Aber warum sollte man ihr die Wahrheit aufbürden? Warum erzählen Sie ihr nicht, was wir abgesprochen haben? Sie werden sie niemals wiedersehen. Wohingegen Vita und ich... Es macht keinen Sinn, Schlamm aufzuwirbeln, nicht wahr?«
»Wir haben nichts vereinbart. Sie haben Bedingungen diktiert. Diese Bedingungen greifen nicht länger. Und was ich Diana erzählen werde...« Ich stand an der Tür und schaute auf ihn hinab. »Das habe ich noch nicht entschieden. Sie und Vita können während Ihrer Reise auf der Olympic über das rätseln, was ich gesagt habe. Ich hoffe, diese Unsicherheit kommt Ihnen zupass.« Ich drehte mich um, um wegzugehen, blieb dann aber stehen. Es gab noch eins, was gesagt werden musste, eine letzte Verurteilung, der zu entgehen er nicht verdient hatte. »Wissen Sie, was das Schlimmste ist, Quincy? Ich glaube, Ihr Plan hätte funktionieren können. Wir wären vielleicht wirklich damit durchgekommen. Aber Sie haben die Chance vertan. Und sie wird nie wiederkommen. Es war nicht schwer, mich zu hintergehen. Aber Sie haben es geschafft - wie viele, sagten Sie, waren es? -, mehr als hunderttausend Amerikaner zu verraten. Grübeln Sie darüber in Pittsburgh nach. Erinnern Sie sich daran, wenn Sie versucht sind, Bruder Theo zu sagen, wohin er sich seinen Job stecken kann. Weil Sie es ihm nicht sagen werden. Sie werden es ihm nie sagen. Vasaritch hatte recht. In Ihren Augen lauert die Feigheit. Und die wird immer darin sein.«
18
Ich stand auf dem Bootsdeck, als die Leviathan langsam aus dem Dock gezogen und gewendet wurde, um nach Southampton Water zu fahren. Der Himmel war undurchdringlich grau, die See dunkel und ölig, die Möwen eigenartig schweigsam, während sie in der unsteten Brise schwebten und herabstießen. Das riesige Schiff war laut Zahlmeister zu mehr als drei Vierteln leer, aber es kam mir dennoch voll vor, einsam und verzweifelt, als die Schlepper es auf den Weg brachten. Es gab keine Fanfaren, keine winkenden Menschenmengen, keine Wimpel. Es war Ende November, der Abschied war kalt und verstohlen, innen in meinem Kopf und außen in der Wirklichkeit.
Und noch Schlimmeres wartete an den Kais von Itchen und kam in Sicht, als wir die Mündung passierten. Die Empress of Britain war eingelaufen, bleich wie ein Geist in unserer Erinnerung und doch genau so real wie die Reling, an der ich lehnte. Der Sommer war schon lange vorbei. Und auch der Freund war verschwunden, neben dem ich vor vier Monaten in einer anderen Welt gestanden hatte.
»Nun, das versaut es, nicht wahr?« schien er wieder zu fragen.
»Wir wussten, dass es passieren würde«, murmelte ich als Antwort. »Oder besser, wir hätten es wissen sollen.«
Meine Stimmung hatte sich nicht geändert, seit ich Quincys Suite im South Western verlassen hatte. Sie war nur noch schlimmer geworden. Ich war frei und lebte. Das hätte reichen sollen, um mich glücklich zu machen. Aber ich hatte Geschichte in den Händen gehalten und zusehen müssen, wie sie mir entrissen wurde. Ich war von einem Hauch gottgleicher Macht versucht worden. Komfort und Wohlstand erschienen jetzt als Bagatellen. Dies würde nicht andauern, das wusste ich. Guy Horton würde bald wieder in sein altes Selbst zurückfallen. Aber im Augenblick kam er sich vor wie der einsamste Mensch der Welt. Auf dem verlassensten Schiff und der weitesten See.
Unten, in ihrer Kabine, wartete Diana. Wir waren uns auf der Fahrt zum Hafen begegnet. Und beim Verlassen des Hafens würden wir uns das letzte Mal sehen. Der Kreis war nahezu geschlossen. Doch was würde seinen Umfang vollenden? Die Wahrheit? Oder noch eine der Lügen, denen wir nachgejagt waren? Ich ging an Deck auf und ab, rauchte eine Zigarette nach der anderen, wartete darauf, dass das letzte Stück Englands in dem Grau hinter dem Heck verschwand, wartete, bis eine Entscheidung getroffen wurde oder eine sich anbot. Wahrheit gegen Wahrheit. Oder Lüge für Lüge. Als das Schiff schließlich den Nab Tower passiert hatte und wir in den Kanal hinausfuhren, wurde mir klar, dass dies nur Diana entscheiden konnte.
Ich fragte mich, ob sie wirklich da war, als ich vor ihrer Tür stand und die Hand hob, um zu klopfen. Vielleicht wäre es mir lieber gewesen, wenn nicht; vielleicht wäre ich froh gewesen, wenn sie Quincys List durchschaut und im letzten Moment an Land gegangen wäre. Aber das war sie nicht. Denn bevor
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