Gesetze der Lust
Father Stearns zu verlieben. Vielleicht war es nicht wirklich Liebe. Aber definitiv Lust. Lust, wie sie sie noch nie zuvor in ihrem Leben verspürt hatte – flammend heiß, unerträglich, wie eine Faust in ihrem Magen oder ein Tumor in ihrem Gehirn.
Suzanne, hast du vor, die ganze Nacht im Flur zu stehen und mich anzuschauen, oder kommst du rein?
Sie war reingekommen. Und er hatte sich zu ihr umgedreht. Und sie hatte ihre Arme ausgestreckt und ihre Hände auf seine Brust gelegt. Unter ihren Handflächen hatte sie sein Herz langsam und stetig schlagen gespürt. Er war weder unsicher nochnervös. So wie sie. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er ihren Mund in Besitz genommen, und sie hatte sich kopfüber in diesen Kuss gestürzt, mit Körper, Herz und Seele. Ihre Nägel gruben sich in seinen Rücken, ihre Brüste pressten sich gegen seinen Oberkörper. Nichts hätte sie in dieser Nacht davon abhalten können, ihn zu nehmen. Weder die Kirche noch der Staat noch besseres Wissen oder ihre Arbeit oder sogar die Erinnerung an Adam. Sie hatte eine Hand zwischen ihre Körper geschoben, um seine Hose aufzuknöpfen, doch er hatte ihre Handgelenke wie ein Schraubstock umfasst und festgehalten. Wenige Sekunden später fand sie sich mit dem Rücken gegen die Wand gepresst wieder, die Arme über den Kopf gestreckt und Sørens Gesicht ganz nah an ihrem. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse verzogen.
„Ich kann nicht …“, hatte er geflüstert, während seine Hände sich tiefer in ihre weiche Haut gegraben hatten.
Sie hätte es dabei belassen sollen. Aber das hatte sie nicht gekonnt. In den achtundzwanzig Jahren ihres Lebens hatte sie Sex gehabt, hatte Sex gemocht, hatte Sex genossen … aber bis zu diesem Augenblick hatte sie ihn nie gebraucht – mehr gebraucht als die Luft, nach der ihre Lungen zum Atmen verlangten.
„Bitte.“ Sie hätte nur einmal Bitte sagen und dann an dieser Stelle aufhören sollen. Doch es sprudelte wieder und wieder aus ihr heraus. „Bitte, Søren … bitte …“ Und wieder und wieder. Sie bettelte um ihn, bettelte um Sex. Selbst jetzt, sechs Wochen später, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, wie sehr sie ihn angefleht hatte, ohne dabei auch nur rot zu werden. Sie hätte ihre Seele dafür verkauft, ihn in sich zu spüren.
Doch er hatte ihr nur mit der Hand den Mund zugehalten, um sie zum Schweigen zu bringen.
„Vergib mir, Suzanne“, hatte er gesagt, und sie hatte das Echo ihrer eigenen Lust in seinen Worten gehört. „Ich gehöre nicht mir selber.“
Und langsam hatte er sie losgelassen. Frei von seinen schockierend starken Händen, war sie schnell und weit vom Pfarrhausgeflohen, zurück zu ihrem Auto, zurück in die Stadt, nur weg von ihm.
Am nächsten Tag konnte sie nicht anders, als ihre Haut anzuschauen. Von den Handgelenken bis zum Ellbogen zogen sich blau-violette Flecken. Und der Anblick dieser Prellungen brachte solche Wellen des Verlangens mit sich, dass sie sich im Bett liegend das Vergnügen verschaffte, das er ihr verweigert hatte, und während jedes einzelnen Orgasmus’ hatte sie geweint.
„Ich bin am Ende, Patrick“, sagte sie schließlich. „Ich habe die ganze Untersuchung vermasselt. Ich habe meine Glaubwürdigkeit getötet.“
„Was hast du getan?“
Suzanne nahm ihre Hände vom Gesicht.
„Ich habe ihn geküsst.“
Die halbe Wahrheit war besser als eine Lüge.
„Du hast ihn geküsst?“
Sie nickte elendig.
„Und es ist egal. Denn er hat den Kuss erwidert. Und ich weiß, dass er mich wollte, doch er hat nichts getan. Hat sich einfach an sein Gelübde gehalten. Er ist ein guter Priester. Ich habe seine, meine und deine Zeit vergeudet … Es ist sinnlos. Du hattest recht. Ich hätte gar nicht erst damit anfangen sollen.“
Patrick schüttelte den Kopf.
„Nein. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Auf gar keinen Fall würde dir ein Fremder einen anonymen Tipp schicken, wenn der Priester der Heilige wäre, für den alle ihn halten.“
„Ich habe recherchiert, Patrick. Und ich kann nichts finden. Die Kinder der Gemeinde lieben ihn und vertrauen ihm. Die Eltern lieben ihn und vertrauen ihm. Was gibt es noch? Es ist mir egal, ob er bei seiner Steuererklärung betrügt, solange er nur nie einem Kind wehgetan hat. Ich wollte ihn für ein Monster halten, nur weil er ein Priester ist. Sieh nur“, sie zeigte auf eine Kiste unter ihrem Schreibtisch. „Alle meine Aufzeichnungen über ihn. Da ist nichts. Er ist ein
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