Gesetze der Lust
Träne.“
„Manche Schmerzen gehen zu tief für Tränen.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Oder vielleicht nicht tief genug. Versuch es, Ellie. Für mich. Versuche nur einmal, mit jemandem zusammen zu sein, der dich so weinen lässt – aus Liebe. Nicht aus Schmerz oder Angst. Verlange ich da zu viel?“
Nora zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
„Es ist zu spät. Es ist so lange her, dass er inzwischen bestimmt eine andere hat. Das hoffe ich zumindest.“
„Lügnerin“, neckte ihre Mutter sie, und Nora lachte. Moment … Sie lachte gemeinsam mit ihrer Mutter, während sie über einen Jungen sprachen? So etwas passierte also tatsächlich auch im echten Leben und nicht nur im Film. Wer hätte das gedacht?
„Ich muss jetzt los“, sagte Nora. „Ich habe Sachen zu erledigen, Leute zu schlagen. Es war schön, dich wiederzusehen.“
Ihre Mutter faltete ihre Hände in einer Geste von Resignation vor ihrer Brust.
„Ja, das war es. Lass bis zu deinem nächsten Besuch nicht wieder sechs Jahre vergehen.“
„Ich dachte nicht, dass sie mich überhaupt reinlassen würden, nachdem ich letztes Mal abgehauen bin.“ Nora grinste, als sie sich an den ganzen Ärger erinnerte, den sie hinter diesen Mauern verursacht hatte.
„Machst du Witze? Man spricht immer noch von dir. Du hast uns für sechs Jahre Stoff für die Unterhaltung beim Abendessen geliefert.“
„Ich lebe, um zu dienen.“ Nora verneigte sich kurz, bevor sie sich in Richtung Tür aufmachte. Sie ging schnell, weil sie dieser Welt so schnell wie möglich entfliehen und wieder in ihre eigene zurückkehren wollte. Diese ganzen zölibatären Frauen jagten ihr Angst ein. Sie konnte sich nicht vorstellen, für eine höhere Macht auf Sex zu verzichten. Selbst ihr Wesley hatte es aufgegeben zu warten … und hatte inzwischen sicher mit seiner attraktiven älteren Freundin geschlafen. Der Gedanke daran, dass eine andere Frau Hand an ihn legte, ließ Nora auf mörderische Gedanken kommen. Gedanken, die zu denken sie kein Recht hatte.
Sie gingen zum großen Tor. Ihre Mutter öffnete die Pforte, die in die echte Welt hinausführte, auf den ungeweihten Boden, auf dem Nora lebte.
„Ich komme dich wieder besuchen. Schon bald. Versprochen“, sagte Nora. „Kann ich dir dann irgendetwas mitbringen? Irgendetwas hineinschmuggeln? Pizza? Schwedischen Fisch? Hasch? Irgendetwas?“
Ihre Mutter lächelte.
„Nur meine Tochter, glücklich und in einem Stück.“
Nora zeigte mit einer fließenden Geste auf ihren Körper.
„Ein Stück“, sagte sie.
„Und glücklich?“
„Ob du es glaubst oder nicht, ja. Vielleicht nicht nach deiner Definition, aber nach meiner.“
„Damit kann ich leben.“
Nora hielt inne und schaute ihre Mutter an. Sie wollte noch mehr sagen, doch sie fand nicht die richtigen Worte. Oder sie hatte nicht den Mut, sie auszusprechen.
„Wir sehen uns, Mom.“
„Oh, Ellie?“
„Was, Mom?“ Nora drehte sich zu ihr um und keuchte auf, als ihre Mutter ihr eine harte Ohrfeige versetzte.
Der Schock machte Nora kurzfristig sprachlos.
„Das scheint die einzige Weise zu sein, auf die dir jemand sagen darf, dass er dich liebt. Meinetwegen.“ Ihre Mutter nahm ihre Hand herunter.
Nora straffte die Schultern und lächelte.
„Das fühlte sich für mich nicht nach Liebe an.“ Sie ging durch die Pforte. „Eher nach einem Amateur. Bei meinem nächsten Besuch arbeiten wir an deiner Technik.“
Nora ging zu ihrem Auto und kämpfte auf dem gesamten Weg mit den Tränen. Sie weigerte sich zu glauben, dass ihre Mutter recht hatte. Sie würde Søren nicht aufgeben, nur um die langweilige, trostlose Definition von Liebe, an die ihre Mutter und die Vanilla-Gesellschaft glaubten, zu leben.
Das war auch nicht nötig. Der einzige Vanilla, den sie je geliebt hatte, war Wesley, und den würde sie nie wiedersehen. Das würde Søren auf gar keinen Fall erlauben. Nicht, wenn sie ihm die Wahrheit darüber erzählte, dass ihre Gefühle für Wesley sich in ihr Herz schlichen wie die Schlange durch den Garten Eden. Das Leben mit Søren war das Paradies – ein dunkles, gefährliches Paradies, aber trotzdem perfekt.
„Beinahe perfekt“, flüsterte sie, als sie sich hinter das Lenkrad ihres Wagens setzte. Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss, doch bevor sie ihn herumdrehte, hörte sie die unheilvollen Klänge von Toccata und Fuge in d-Moll.
Nora holte ihr Handy aus der Tasche.
„Søren …“, sagte sie erleichtert. „Gott, ich
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