Gesichter der Nacht
schäbiges Fremdenbuch und einen Füller zutage und sagte:
»Tragen Sie sich bitte hier ein.«
Marlowe nahm den Füller und schrieb hastig: P.
Simons – Bristol. Die Frau betrachtete den Eintrag und fragte
höflich: »Haben Sie Gepäck, Sir?«
Er schüttelte den Kopf. »Das hab' ich am
Bahnhof gelassen. Ich muß heute nachmittag mit dem Zug nach
Schottland. Und ich dachte mir, bis dahin könnte ich eine Runde
schlafen.«
Die Frau nickte verständnisvoll. »Ja, Sir. Das macht fünfzehn Schilling.«
Er gab ihr eine Pfundnote, und als sie sich zum
Schlüsselbrett wandte, sagte er: »Ich nehme die Sieben, wenn
das Zimmer noch frei ist.« Er lachte. »Das ist meine
Glückszahl, wissen Sie.«
Die Frau gab ihm den Schlüssel.
»Wenn Sie oben sind, ist das gleich gegenüber, Sir«,
sagte sie. »Wollen Sie geweckt werden?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich werde von allein wach.«
Er stieg rasch die Treppe hinauf, blieb am Absatz
stehen, horchte. Kein Laut im ganzen Hotel. Dann schloß er die
Tür von Zimmer 7 auf und trat ein.
Blasses Licht fiel durch ein dreckiges Fenster und
verlieh der verschossenen Steppdecke auf dem Doppelbett etwas Farbe.
Ansonsten bestand die Einrichtung aus einem alten
Mahagonikleiderschrank und einem billigen Stuhl. In der hinteren Ecke
des Zimmers war eine Tür mit der Aufschrift TOILETTE.
Marlowe verzog angewidert das Gesicht. Es roch muffig
und feucht hier. Es erinnerte an Fäulnis. Er ging zum
Schiebefenster und kämpfte mit dem Riegel. Einen Augenblick
später gab er nach, und Marlowe schob den Rahmen hoch und beugte
sich in den Regen hinaus.
Zimmer 7 lag auf der Rückseite des Hotels, und er
blickte auf ein Gewirr von Gleisen. Links sah er die Paddington
Station. Unter dem Fenster, gegen die Mauer des Hauses geschichtet, ein
Haufen Koks. Irgendwo in der Nähe ließ eine Lok Dampf ab.
Marlowe zündete sich eine Zigarette an, beugte sich noch weiter
hinaus. Es würde Nebel geben. Alles war schon in Dunst
gehüllt und begann zu verschwimmen. Marlowe schauderte, als ihm
ein Windstoß Regen ins Gesicht trieb, aber er schauderte nicht
wegen der Kälte. Er hatte Angst. Einen Moment lang verließ
ihn sein Mut, und der Gedanke bedrängte ihn, daß die langen
Jahre vielleicht umsonst gewesen waren. Vielleicht war das, was er
suchte, nicht mehr da.
Er warf die Zigarette in weitem Bogen in
den Regen hinaus und ging zur Toilettentür. Das Wort TOILETTE
stand auf einem leicht gewölbten ovalen Schildchen, das mit zwei
Schrauben an der Tür befestigt war. Marlowe zog seinen
Schraubenzieher aus der Tasche und fing an, das Schildchen
abzumontieren. Seine Hände zitterten etwas.
Als er die eine Schraube draußen hatte, kippte
das Schildchen, und der Gegenstand, der dahinter versteckt war, fiel
auf den Boden. Marlowe ging in die Knie und hob ihn mit fliegenden
Fingern auf. Es war ein kleiner Stahlschlüssel. Er hielt ihn in
der offenen Hand, starrte ihn an, und plötzlich kam Jubel in ihm
auf. Ja, er war da. Nach all der Zeit war er noch da.
Er hörte nichts, aber eine instinktive Regung
sagte ihm, daß er nicht allein war. Er spürte einen Luftzug
an der Wange und wußte, die Tür war offen. Er drehte sich
um. Faulkner stand auf der Schwelle und ließ etwas um den Finger
wirbeln – offenbar ein Duplikat des Zimmerschlüssels.
»Ich habe auch einen, Alter«, sagte er. »Aber
natürlich keinen so wertvollen wie du. Wozu gehört der? Zu
einem Tresorfach? Wie schlau von dir.«
Er trat ins Zimmer, gefolgt von Butcher und Harris,
der die Tür zumachte und sich dagegen lehnte. Marlowe schob den
Schlüssel in seine Tasche und sagte: »Verdammt noch mal, wie
habt ihr das geschafft? Mir auf den Fersen zu bleiben, meine
ich?«
Faulkner setzte sich aufs Bett und steckte eine
Zigarette in eine elegante Zigarettenspitze. »War gar nicht
nötig, Alter. Ich wußte etwas, das die Polizei nicht
weiß. An dem Tag, an dem du geschnappt worden bist, hatte ich
Glück. Ein Kumpel von Butcher hat dich zufällig hier
rauskommen sehen. Ich habe das Zimmer für ein paar Tage gemietet,
und wir haben es gefilzt – gründlich, das kann ich dir
sagen. Wir haben nichts gefunden, aber ich hatte immer so eine Ahnung.
Es mußte da einen logischen Zusammenhang geben.«
Marlowe nahm sich eine Zigarette und
zündete sie umständlich an. »Ich muß mich doch
sehr wundern, Faulkner«, sagte er. »Wie kommst du auf
solche Ideen?« Er schaute rasch zu den zwei Männern
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