Gesprengte Ketten
zu ihm auf.
"Ich war in Ihrer Nähe, als es passiert ist", erwiderte Dr. Ma rquard und zeigte zu der Baumwiese, die links hinter ihnen lag. "Meine Töchter und Amos brauchten Auslauf." Er griff nach Jannics Händen. "Sind Sie gegen Tetanus geimpft?" Er bückte sich und untersuchte das Knie des jungen Mannes.
"Nein", antwortete Jannic.
"In diesem Fall sollten Sie sich unbedingt gleich morgen impfen lassen. Ich habe Samstagsdienst. Am besten, Sie kommen gegen neun Uhr dreißig."
"Du musst Herrn Eckstein verbinden, Papa", meldete sich M arie Lara zu Wort. "Mein Papa ist ein Onkel Doktor. Er macht kranke Leute gesund", erklärte sie dem jungen Mann.
"Wenn ich mit meinen Töchtern unterwegs bin, habe ich stets etwas für den Notfall dabei", sagte Julian. "Man weiß ja nie, ob die Kinder hinfallen." Er zog einen winzigen Verbandskasten aus seiner Hosentasche. "Was man so braucht: Pflaster, einen Verband und Alkoholtaps. Bitte setzen Sie sich ins Gras."
Jannic setzte sich. Erst jetzt begann sein Knie zu schmerzen. Seine Hände brannten.
Dr. Marquard desinfizierte die Wunde und klebte ein Pflaster über sie, danach reinigte er die Schürfwunden an Jannics Hä nden.
"Tut es sehr weh", fragte Marie Lara mitleidig und ve rschränkte die Hände auf dem Rücken.
"Nein", erwiderte der junge Mann. Er lächelte dem kleinen Mädchen zu. "Anna hat mir erzählt, was für brave Kinder ihr seid."
"Hörst du, Papa?" Sophie blickte zufrieden zu ihrem Vater auf. "Wir sind immer lieb, wenn Anna bei uns ist."
"Anna kommt nachher", verriet Marie Lara. "Meine Mama und mein Papa gehen aus."
"Wir müssen zu einer Lesung", sagte Julian Marquard. "Der Bruder eines Freundes hat seinen ersten Gedichtsband herausgebracht." An und für sich hatte er keine Lust, an diesem Abend auszugehen, zumal sie am nächsten Abend bei Prof. Dr. Waller eingeladen waren, aber er konnte seinen Freund nicht enttäuschen.
Jannic stand auf und bedankte sich.
Amos, der sich die Zeit damit vertrieben hatte, Schmetterlingen nachzujagen, brachte sich mit einem lauten 'Wuff' in Erinnerung. Sophie zog einen Tennisball aus ihrer Hosentasche und warf ihn den Weg entlang. Amos jagte ihm nach, brachte ihn zurück und legte ihn dem Kind zu Füßen.
"Spielt noch ein bisschen mit Amos", forderte Julian seine Töchter auf.
"Ich bin an der Reihe!" Marie Lara ergriff den Ball. "Iiih, der ist ja ganz nass!" Sie rieb den Ball an ihre Hose ab.
Amos tänzelte aufgeregt um sie herum.
"Gleich!" Das kleine Mädchen warf den Ball so weit es konnte.
"Das sind ja nicht mal zwei Meter", stellte Sophie fest und rümpfte ihr Näschen.
"Ich habe Frau Ravens schon ein paar Tage nicht mehr gesehen", sagte Dr. Marquard zu Jannic. "Wie geht es ihr?"
Der junge Mann schaute auf seine lädierten Hände. "Wir haben uns gestritten", gab er zu. "Ich bin auch nur ein Mensch. Sie ke nnen ja Lauras Familie inzwischen. Ich habe noch nie jemanden kennen gelernt, der sich so ausnutzen lässt." Er hob die Schultern. "Um ehrlich zu sein, ich habe von dem ganzen Theater die Nase voll. Wenn Laura die Launen ihrer Mutter wichtiger sind als unsere Beziehung, was hat es für einen Sinn, mit ihr irgendetwas auszumachen?"
"Manchmal ist es schwer, die Ketten abzuschütteln, die uns binden", antwortete Julian.
"Ich will nichts weiter, als in Ruhe mit Laura zusammen sein." Jannic sprach von dem vergangenen Sonntag, an dem seine Freundin nach Hause gerufen worden war. "Von Anfang an war mir klar, dass da etwas nicht stimmt. Laura wollte es nicht glauben."
Dr. Marquard sah in einiger Entfernung einen Radfahrer. "Amos, hierher!"
Amos rannte zu ihm und setzte sich ihm zu Füßen.
"Gut erzogen", bemerkte Jannic bewundernd.
Der Radfahrer fuhr mit einem Gruß an ihnen vorbei. Amos schaute ihm verlangend nach. Er konnte nun wirklich nicht begreifen, weshalb es ihm verboten war, diesen in der Abendsonne blinkenden Rädern nachzujagen.
"Sie müssen auch Ihre Freundin verstehen", sagte Dr. Ma rquard. "Stellen Sie sich vor, ihrer Mutter wäre es wirklich schlecht gegangen und ihre Freundin hätte den Anruf ihres Vaters ignoriert. Sie hätte sich das niemals verzeihen können."
Jannic dachte über seine Worte nach. "Aber auf dieser Basis kann man keine dauerhafte Beziehung aufbauen." Er atmete tief durch. "Ich will Sie nicht länger aufhalten, Herr Doktor Ma rquard", meinte er. "Nochmals herzlichen Dank für Ihre Hilfe."
"Gern geschehen ", antwortete der Arzt. "Einen schönen Abend."
"Ihnen auch", wünschte
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