Geständnis
und etwa hundert Meter
weiter lag die Sandbank, die, abhängig vom Wasserstand, kam und
ging. Dort hatte man Nicoles Mitgliedskarte vom Fitnessklub und
ihren Schülerausweis gefunden. Für viele, die sie gekannt und
geliebt hatten, war das lange Zeit der Ort von Nicoles Grab
gewesen.
Bei jedem ihrer vielen Besuche im Park hatte Reeva sämtliche
Medien verständigt, die sie in Slone erreichen konnte, doch im
Laufe der Jahre hatten die Reporter der verschiedenen
Lokalzeitungen das Interesse verloren. Daher kam sie jetzt meist
allein, manchmal mit Wallis, der hinter ihr hertrottete, immer am
Geburtstag ihrer Tochter, manchmal auch am 4. Dezember, dem Tag, an
dem sie verschwunden war. Doch die Mahnwache war etwas völlig
anderes. Es gab etwas zu feiern. Fordyce - Hitting Hardt hatte ein
aus zwei Männern bestehendes Team mit einer Handkamera geschickt,
das Reeva und den völlig erschöpften Wallis schon seit zwei Tagen
auf Schritt und Tritt begleitete. Außerdem waren zwei Kamerateams
von Nachrichtensendern und ein halbes Dutzend Reporter von
verschiedenen Zeitungen gekommen. So viel Aufmerksamkeit
inspirierte die Betenden, und Bruder Ronnie freute sich über das
große Interesse der Medien. Sechzig Kilometer von zu Hause
weg!
Im Licht der untergehenden Sonne sangen sie ein paar Lieder,
zündeten kleine Kerzen an und reichten sie herum. Reeva saß in der
ersten Reihe und schluchzte ununterbrochen. Bruder Ronnie konnte
der Versuchung nicht widerstehen und begann zu predigen. Seine
Gemeinde hatte keine Eile und blieb sitzen. Er sprach über
Gerechtigkeit und zitierte eine wahre Flut von Bibelstellen, um zu
belegen, dass Gott dem Menschen befahl, als gesetzestreuer Bürger
zu leben.
Auf die Predigt folgten Gebete von Diakonen und Erinnerungen
von einigen Freunden Nicoles. Sogar Wallis stand auf und sagte ein
paar Worte, nachdem er einen Ellbogen in die Rippen bekommen hatte.
Bruder Ronnie beendete die Mahnwache mit einer wortreichen Bitte um
Mitleid, Gnade und Stärke. Gott solle Reeva, Wallis und ihre
Familie bei der schweren Prüfung begleiten, die die Hinrichtung für
sie bedeute.
Sie verließen den Pavillon und zogen in einer stillen
Prozession zu dem provisorischen Schrein, der näher am Flussufer
lag. Sie legten Blumen vor einem weißen Kreuz nieder. Einige
knieten sich hin und fingen wieder zu beten an. Alle
weinten.
Um achtzehn Uhr am Mittwoch ging Keith durch die Eingangstür
des Anchor House, in der festen Absicht, Travis Boyette abzupassen
und ihn zu einer Entscheidung zu zwingen. Die Hinrichtung sollte in
genau vierundzwanzig Stunden stattfinden, und Keith war
entschlossen, alles zu tun, um sie zu verhindern. Es schien zwar
unmöglich zu sein, aber er wollte es zumindest versuchen. Den
Abendgottesdienst von St. Mark hielt ein Kollege an seiner
Stelle.
Boyette spielte Katz und Maus mit ihm, oder vielleicht war er
ja auch schon tot. Tagsüber hatte er sich weder bei seinem
Bewährungshelfer gemeldet noch im Anchor House sehen lassen. Er war
zwar nicht dazu verpflichtet, doch die Tatsache, dass er
verschwunden zu sein schien, war beunruhigend. Allerdings musste er
sich abends um achtzehn Uhr zurückmelden und konnte das Haus dann
erst wieder am nächsten Morgen um acht Uhr verlassen, es sei denn,
er hatte eine Genehmigung. Um achtzehn Uhr war er immer noch nicht
da. Keith wartete eine Stunde lang, doch Boyette kam nicht. An der
Anmeldung saß ein ehemaliger Strafgefangener namens
Rudy.
„ Wenn ich Sie wäre, würde ich den Kerl schleunigst
herschaffen“, murmelte er in Richtung Keith.
„ Ich weiß ja gar nicht, wo ich nach ihm suchen soll“, sagte
Keith. Er gab Rudy die Nummer seines Mobiltelefons und fing mit den
Krankenhäusern an. Langsam fuhr er von einem zum anderen,
versuchte, die Zeit totzuschlagen, wartete auf einen Anruf von
Rudy, suchte auf den Straßen nach einem etwa vierzig Jahre alten
Weißen, der am Stock ging und hinkte. In keinem der Krankenhäuser
im Stadtzentrum war ein Travis Boyette eingeliefert worden. Boyette
drückte sich nicht in der Nähe des Busbahnhofs herum, und er war
auch nicht bei den Saufbrüdern unten am Fluss. Um einundzwanzig Uhr
kehrte Keith ins Anchor House zurück und setzte sich auf einen
Stuhl neben der Anmeldung.
„ Er ist nicht da“, sagte Rudy.
„ Was geschieht jetzt?“, fragte Keith.
„ Wenn er heute Abend noch kommt, werden sie ihm das
zähneknirschend durchgehen lassen, es sei denn, er ist betrunken
oder hat Drogen genommen, dann ist die Kacke
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