Geständnis
gerade
einen randvoll gehäuften Teller vor sich. Der Diner war nur halb
voll, und an einigen Tischen saßen Polizeibeamte in Uniform, die
Kuchen aßen und im Schnitt mindestens hundertzehn Kilo wogen. Keith
bestellte einen Kaffee und hielt es für eine Ironie des Schicksals,
dass ein nicht verurteilter Mörder und ehemaliger Strafgefangener,
der gegen seine Bewährungsauflagen verstieß, keine zehn Meter
entfernt von einer Gruppe Polizisten eine Mahlzeit
genoss.
„ Wo sind Sie die ganze Zeit gewesen?“, fragte Keith.
Das nervöse Zucken. Eine Gabel voll Rührei. „Ich weiß es nicht
mehr“, erwiderte Boyette mit vollem Mund.
„ Wir haben einen ganzen Tag verloren. Wir wollten doch das
Video aufnehmen, es den Behörden und der Presse in Texas schicken
und auf ein Wunder hoffen. Aber Sie sind einfach
verschwunden.“
„ Der Tag ist vorbei, also hören Sie auf damit. Bringen Sie mich
jetzt nach Texas oder nicht?“
„ Sie wollen also Ihre Bewährung riskieren?“
Das nervöse Zucken, ein Schluck Kaffee, bei dem seine Hand
zitterte. Stimme, Finger, Augen, alles schien in Bewegung zu sein.
„Um meine Bewährung mache ich mir zurzeit am wenigsten Gedanken.
Die meiste Zeit über denke ich ans Sterben. Und an den Jungen in
Texas. Ich habe versucht, ihn zu vergessen, aber ich kann nicht.
Und das Mädchen geht mir auch nicht aus dem Kopf. Ich muss sie
nochmal sehen, bevor ich sterbe.“
„ Warum?“
„ Ich muss ihr sagen, dass es mir leidtut. Ich habe vielen
Menschen wehgetan, aber getötet habe ich nur sie.“ Er warf einen
Blick auf die Polizisten und sprach etwas leiser weiter. „Ich weiß
auch nicht, warum. Sie war mein Liebling. Ich wollte sie behalten,
aber als mir klarwurde, dass ich das nicht kann, da habe ich ...
ich habe ...“
„ Schon klar, Travis. Reden wir lieber über die Logistik. Slone
ist Luftlinie sechshundert Kilometer von hier entfernt, mit dem
Auto sind es eher achthundertachtzig, mit einer Menge zweispuriger
Straßen. Jetzt haben wir Mitternacht. Wenn wir in der nächsten
Stunde aufbrechen und wie die Verrückten fahren, sind wir
vielleicht um die Mittagszeit da. Dann haben wir noch sechs Stunden
bis zur Hinrichtung. Wissen Sie schon, was wir machen, wenn wir
dort sind?“
Boyette kaute auf einem Stück Wurst herum und überlegte in
aller Seelenruhe. Er schien es überhaupt nicht eilig zu haben.
Keith fiel auf, dass er immer nur einen kleinen Bissen zu sich
nahm, ihn lange im Mund behielt, die Gabel aus der Hand legte und
entweder einen Schluck Kaffee oder Wasser trank. Er schien nicht
sehr hungrig zu sein. Das Essen war nicht wichtig.
Nach einem weiteren Schluck Kaffee sagte Boyette: „Wir könnten
zu dem Lokalsender fahren. Ich gehe live auf Sendung, erzähle meine
Geschichte, übernehme die Verantwortung und sage den Idioten dort,
dass sie den Falschen für den Mord hinrichten wollen. Dann werden
sie's schon lassen.“
„ Einfach so?“
„ Ich weiß es nicht. Ich habe so was noch nie gemacht. Sie etwa?
Wie sieht Ihr Plan aus?“
„ Die Leiche zu finden ist jetzt wichtiger als ein Geständnis.
Angesichts Ihrer vielen Vorstrafen und Ihrer widerlichen Verbrechen
dürften Sie nämlich recht wenig Glaubwürdigkeit besitzen. Seit
unserem Gespräch am Montag habe ich ein wenig recherchiert und
dabei so einiges über die Spinner gelesen, die mit schöner
Regelmäßigkeit auftauchen, wenn eine Hinrichtung ansteht, und alles
Mögliche behaupten.“
„ Sie halten mich also für einen Spinner.“
„ Nein, das tue ich nicht. Aber ich bin sicher, dass man Sie in
Slone für so einiges halten wird, das nicht gerade schmeichelhaft
für Sie ist. Man wird Ihnen nicht glauben.“
„ Glauben Sie mir?“
„ Ja, ich glaube Ihnen.“
„ Möchten Sie mal die Eier und den Speck probieren? Schließlich
zahlen Sie ja dafür.“
„ Nein, danke.“
Das nervöse Zucken. Wieder ein Blick in Richtung der
Polizisten. Boyette massierte sich mit den Zeigefingern die
Schläfen und verzog dabei das Gesicht, als würde er gleich zu
schreien anfangen. Der Schmerz ließ nach. Keith sah auf die
Uhr.
Boyette schüttelte langsam den Kopf. „Es dauert viel zu lange,
um die Leiche zu finden. Heute wird das nichts mehr.“
Da Keith keine Erfahrung mit solchen Dingen hatte, zuckte er
nur die Achseln und schwieg.
„ Entweder wir fahren jetzt nach Texas, oder ich gehe ins
Übergangshaus zurück und lasse mich anbrüllen. Ihre Entscheidung,
Reverend.“
„ Und warum soll ausgerechnet ich diese
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