Geständnis
das nicht bewusst. In den letzten
drei Tagen hatte er so wenig und zu so ungewöhnlichen Zeiten
geschlafen, dass sein Körper völlig aus dem Rhythmus war. Als das
Telefon klingelte, hätte er schwören können, dass er hellwach war.
Dana hatte es allerdings zuerst gehört und musste ihren Mann wach
rütteln. Nach dem vierten oder fünften Klingeln griff er nach dem
Hörer. „Hallo“, sagte er schlaftrunken, während Dana das Licht
einschaltete. Es war 23.40 Uhr. Sie waren vor knapp einer Stunde
ins Bett gegangen.
„ Ich bin's. Travis“, sagte die Stimme.
„ Hallo, Travis“, sagte Keith. Dana suchte ihren Bademantel. „Wo
sind Sie?“
„ In Topeka, in einem Diner, nicht weit vom Anchor House.“ Er
sprach langsam, als hätte er Mühe, seine Sätze zu formulieren.
Keith vermutete, dass er getrunken hatte.
„ Warum sind Sie nicht im Anchor House?“
„ Das tut nichts zur Sache. Ich habe solchen Hunger. Ich habe
seit heute Morgen nichts gegessen, und jetzt sitze ich hier mit
einer Tasse Kaffee und kann mir nichts zu essen kaufen, weil ich
kein Geld habe. Ich bin am Verhungern. Was kann man da tun,
Reverend?“
„ Travis, haben Sie getrunken?“
„ Zwei Bier. Aber es geht mir gut.“
„ Sie haben Geld für Bier ausgegeben, aber zu essen haben Sie
sich nichts gekauft?“
„ Ich habe Sie nicht angerufen, um mich mit Ihnen zu streiten.
Können Sie mir helfen, etwas zu essen zu bekommen?“
„ Ja, sicher, aber Sie müssen ins Anchor House zurück. Man
wartet dort auf Sie. Ich habe mit Rudy geredet, und er sagt, dass
Sie einen Verweis bekommen, aber sonst wird nicht viel passieren.
Wir essen zusammen, und dann bringe ich Sie dorthin zurück, wo Sie
hingehören.“
„ Da geh ich nicht wieder hin, das können Sie vergessen. Ich
will nach Texas. Jetzt, meine ich. Ich muss da hin. Ich werde allen
die Wahrheit sagen, ich werde allen sagen, wo die Leiche ist. Wir
müssen den Jungen retten.“
„ Wir?“
„ Ja, wer denn sonst? Wir kennen die Wahrheit. Wenn Sie und ich
da hingehen, können wir die Hinrichtung verhindern.“
„ Ich soll Sie nach Texas bringen? Jetzt?“, vergewisserte sich
Keith, während er seine Frau anstarrte. Sie schüttelte den
Kopf.
„ Sonst habe ich doch niemanden. Mein Bruder wohnt in Illinois,
aber wir reden nicht mehr miteinander. Ich könnte meinen
Bewährungshelfer anrufen, aber ich glaube nicht, dass er scharf
drauf ist, mit mir nach Texas zu düsen. Ich kenne ein paar von den
Jungs im Übergangshaus, aber die haben alle kein Auto. Wenn man
fast sein ganzes Leben im Gefängnis verbracht hat, hat man draußen
nicht viele Freunde.“
„ Travis, wo sind Sie?“
„ Hab ich Ihnen doch schon gesagt. In einem Diner. Und ich habe
Hunger.“
„ In welchem Diner?“
„ Blue Moon. Kennen Sie den?“
„ Ja. Bestellen Sie sich was zu essen. In fünfzehn Minuten bin
ich da.“
„ Danke, Reverend.“
Keith beendete das Gespräch und setzte sich neben seine Frau
auf den Bettrand. Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Sie
wollten nicht wieder streiten.
„ Ist er betrunken?“, fragte sie schließlich.
„ Ich glaube nicht. Er hat etwas getrunken, aber er scheint
nüchtern zu sein. Ach, ich weiß es nicht.“
„ Was hast du vor?“
„ Ich werde ihm ein Abendessen spendieren oder ein Frühstück,
was auch immer. Dann werde ich sehen, ob er seine Meinung wieder
ändert. Wenn er es ernst meint, habe ich wohl keine andere Wahl,
als ihn nach Texas zu fahren.“
„ Du hast eine Wahl, Keith. Niemand zwingt dich dazu, diesen
Perversen nach Texas zu bringen.“
„ Und was ist mit dem jungen Mann in der Todeszelle? Denk doch
einmal an seine Mutter. Sie wird ihren Sohn heute zum letzten Mal
sehen.“
„ Boyette nimmt dich auf den Arm. Er lügt.“
„ Kann schon sein. Aber es steht eine Menge auf dem
Spiel.“
„ Was steht auf dem Spiel? Dein Arbeitsplatz. Dein guter Ruf,
deine Karriere, das steht auf dem Spiel. Wir haben drei Kinder, an
die wir denken müssen.“
„ Dana, ich werde weder meine Karriere noch meine Familie
riskieren. Ich werde mit einem blauen Auge davonkommen, mehr wird
schon nicht passieren. Ich weiß, was ich tue.“
„ Bist du dir sicher?“
„ Nein.“ Er streifte seinen Pyjama ab, zog eine Jeans,
Turnschuhe und ein Hemd an und setzte eine rote Baseballmütze der
Cardinais auf. Dana beobachtete ihn schweigend. Er gab ihr einen
Kuss auf die Stirn und verließ das Haus.
Als Keith sich Boyette gegenübersetzte, musterte dieser
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