Geständnis
Tabletten, die ich nehmen muss, schlagen auf die Blase.
Halten Sie mal kurz, damit ich auf die Toilette kann?“
„ Sicher“, erwiderte Reith. Was sollte er sonst sagen? Er
behielt die Uhr im Auge. Sie wollten den Highway irgendwo nördlich
von Denton, Texas, verlassen und dann auf zweispurigen Straßen nach
Osten weiterfahren. Reith hatte keine Ahnung, wie lange das dauern
würde. Er schätzte, dass sie am Mittag zwischen zwölf und eins in
Slone ankommen würden. Die Pausen an den Raststätten trugen
natürlich nicht dazu bei, dass sie ihr Ziel schneller
erreichten.
In Norman hielten sie an und kauften wieder Kaffee und Wasser.
Während Keith sich mit dem Tanken beeilte, gelang es Boyette, zwei
Zigaretten zu rauchen, indem er so schnell daran zog, als wären es
seine letzten. Fünfzehn Minuten später waren sie wieder auf der
1-35 und führen durch die flache Landschaft von
Oklahoma.
Als Mann Gottes fühlte sich Keith verpflichtet, das Thema
Glauben zumindest einmal anzusprechen. Er fing etwas zögerlich an:
„Travis, Sie haben mit mir über Ihre Kindheit gesprochen, und wir
brauchen jetzt nicht wieder damit anzufangen. Aber es würde mich
interessieren, ob Sie als Kind etwas mit Religion oder mit der
Kirche zu tun hatten.“
Das nervöse Zucken war wieder da. Und die lange Pause zum
Nachdenken. „Nein“, antwortete Boyette, und für einen Moment schien
das alles zu sein, was er dazu zu sagen hatte. Dann führ er fort:
„Meine Mutter ist nie in die Kirche gegangen. Und viele Verwandte
hatte sie nicht. Ich glaube, sie haben sich für sie geschämt, daher
haben sie uns nie besucht. Darrell hatte mit Religion nichts am
Hut. Onkel Chett hätte es nicht geschadet, wenn er mal eine Kirche
von innen gesehen hätte, aber ich bin sicher, dass er jetzt in der
Hölle schmort.“
Keith sah eine Möglichkeit, das Gespräch fortzusetzen. „Dann
glauben Sie also an die Hölle?“
„ Ich denke schon. Ich glaube, dass wir irgendwo hingehen, wenn
wir gestorben sind, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das für
Sie und mich der gleiche Ort sein wird. Sie vielleicht? Schließlich
habe ich den größten Teil meines Lebens im Gefängnis verbracht. Sie
können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass es unmenschliche
Leute gibt. Die werden schon böse geboren. Das sind bösartige,
seelenlose Verrückte, denen niemand mehr helfen kann. Und wenn sie
sterben, kommen sie irgendwohin, wo es nicht schön ist.“
Die Ironie war schon fast zum Lachen. Ein Mörder und
Serienvergewaltiger, der Gewalttäter verurteilte.
„ Gab es bei Ihnen zu Hause eine Bibel?“, fragte Keith, der
nicht über abscheuliche Verbrechen sprechen wollte.
„ Ich habe nie eine gesehen. Bücher gab es bei uns sowieso
nicht. Ich bin mit Pornos aufgewachsen. Onkel Chett hat sie mir
gezeigt, und Darreil hat sie unter seinem Bett versteckt. Das war
alles, was ich als Kind gelesen habe.“
„ Glauben Sie an Gott?“
„ Ich will jetzt nicht über Gott, Jesus, Seelenheil und diesen
Kram reden. Das habe ich schon die ganze Zeit im Gefängnis gehört.
Im Knast fangen ja viele an, in der Bibel zu lesen. Einigen ist es
wohl ernst damit, aber es macht sich auch gut, wenn man auf
Bewährung rauskommen will. Ich habe jedenfalls nie daran
geglaubt.“
„ Sind Sie bereit zu sterben?“
Eine Pause. „Ich bin vierundvierzig, und mein Leben war eine
einzige Katastrophe. Ich habe es satt, im Gefängnis zu sitzen. Ich
habe es satt, mit meiner Schuld zu leben. Ich habe es satt, die
ganze Zeit die Stimmen der Menschen zu hören, denen ich was getan
habe. Ich habe diese ganze Scheiße satt. Entschuldigen Sie meine
Ausdrucksweise ... Ich habe es satt, als missratene Existenz am
Rand der Gesellschaft zu leben. Ich habe die Nase gestrichen voll
davon. Auf meinen Tumor bin ich stolz. Es ist zwar kaum zu glauben,
aber wenn das verdammte Ding nicht gerade meinen Schädel zum
Platzen bringt, habe ich es sogar richtig gern. Es sagt mir, was
mir bevorsteht. Ich habe nicht mehr lange, aber das ist mir egal.
Ich werde niemandem mehr etwas tun. Mich wird niemand vermissen,
Reverend. Wenn ich keinen Tumor hätte, würde ich mir Tabletten und
eine Flasche Wodka besorgen und mich davonschleichen. Vielleicht
mache ich das ja trotzdem noch.“
Das war es dann wohl mit der tiefgreifenden Diskussion über
das Thema Glaube. Sie waren schon fünfzehn Kilometer
weitergefahren, als Keith sagte: „Über was würden Sie denn gern
reden?“
„ Ich will nicht reden. Ich will nur hier
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