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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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einem Musiker zusammen! Zehn Jahre jünger ist er. Und Keiti krebst immer noch in der Autobranche.“
    Dagegen hatte Lukas nichts. Der ganze Edel-Ehemann war ihm entglitten.
    „Sie hat ihn nie geliebt!“ bekannte Lipi familiär. „Ich hab’s kommen sehen. Von Anfang an.“
    Tinis molliges Händchen winkte ab. „Da hätte sie auch diesen Dings nehmen können, hinter dem sie so her war seinerzeit...“
    „Diesen Maler!“ soufflierte ihr Lipi.
    „Ich weiß nicht...“ Lukas wog den Kopf hin und her.
    „Kannten Sie den auch?“
    Er nickte vor sich hin, und ließ sich unschicklich viel Zeit. „Der Maler war ich.“
    Tini lächelte formbegabt, dabei endgültig. Keine Details. Keine Erörterungen über Wollen und Sollen. Doch es darf nicht nach Themawechsel aussehen: „Wo wir gerade bei der Verwandtschaft sind — sagen Sie, Herr Dornberg, Sie kennen die Gilliegauldies?“
    Der Tee schmeckte nicht. Es war ein Genuß, die Tasse wegzustellen. „Meinen Sie die von Haddie House on Loch Bruicheach oder die Gilliegauldies of that Ilk?“ Die zweite Sippe hatte er dazu erfunden.
    Doch Tini war Gotha- wie Debrett-fest. „Die von Haddie House an diesem unaussprechlichen See. Eileen, die zweite Lady — die erste kam ja bei einem Jagdunfall ums Leben — ist die Cousine einer Großnichte des 14. Earl of Pitsliquharson, der mit meiner Tante Trixie Watte zu Wattersleben — nicht die Marchesa Trixie aus der Schlinz-Poppe-Slippenburg-Linie, mit der sie lustigerweise meist verwechselt wird — noch immer glücklich verheiratet ist.“
    „Aha!“
    Anmerkungen dieses Umfangs sollten fürs nächste genügen. Nach dem genealogischen Striptease in kompliziertesten Verwandtschaftsverhältnissen, kam die erwartete Frage. „Sagen Sie, Herr Dornberg, sind Sie auch schottisch versippt, daß Sie sich so auskennen?“
    Lukas wurde übermütig, er nickte. Das machte Lipi wieder munter. „Sind Sie am Ende ein entfernter Gilliegauldie?“
    „Südlicher.“
    Tini mußte passen. „Dann weiß ich nicht...“
    „Ich war ein Macbeth!“ flunkerte er.
    Aufrecht saßen die Schloßleute, ohne die Rücklehne zu berühren. Tini rechnete. „Sind die nicht ausgestorben?“
    „Was heißt: ich war?“ fragte sich Lipi und kam zu einem anderen Schluß. „Haben Sie den Adel abgelegt?“
    „Sagen wir, ich habe ihn nicht mitgenommen.“
    „Sie haben einen deutschen Paß? Aber...“
    Bedächtig schüttelte Lukas den Kopf: „Ich war ein Macbeth. In einer früheren Inkarnation. Ich habe 1746 bei Culloden für Bonnie Prince Charlie gegen die Engländer unter dem Herzog von Cumberland gekämpft, diesem William, dem Saucenerfinder, und bin gefallen. Seitdem verweigere ich Cumberlandsauce.“
    Tinis Augen kullerten ratlos. „Wie er das sagt! Lipi, was sagst du?“
    „Ich dachte immer, Macbeth sei nur ein Theaterstück!“
    Tini ließ Bildung erkennen. „Oder sind Sie mit Shakespeare verwandt?“
    Lipi kam zum Kern. „Was hat das mit Inkarnation zu tun? Die ist doch indisch und nicht schottisch.“
    Lukas wahrte mimische Contenance. „Es gibt zweierlei Stammbäume. Den familialen — er betrifft den verwesenden Teil, und den incarnablen — er betrifft das Einmalige, Ewige, die Seele. Den familialen kann man nachrechnen: Wer hat wann und wo als was gelebt? Den incarnablen kann man nur erfühlen.“
    Vier Augen fragten, was ein Mund formulierte. „Wie zum Beispiel?“
    „In der Meditation, in Hypnose oder wenn man irgendwo zum ersten Mal hinkommt und alles schon kennt.“
    „Sie meinen déjà vu?“
    „Ich nenne es inkarnationsundicht.“
    Sie konnten nicht lachen, es ächzte im Familiengebälk. Lipi rang um Verstehen. „Das hatte ich mal in einem alten Landgasthaus in der Bretagne, in der Gegend von Yffiniac! Ich kannte mich aus in dem Haus. Das waren aber sehr einfache Leute...“
    Lukas hob den Zeigefinger zum Ausrufezeichen. „Ein wichtiger Punkt! Der physische Stammbaum ist elitär, der psychische sozial.“
    Tinis Rundlichkeiten gerieten in Bewegung. „Ich komm da nicht mehr mit.“
    Mit beruhigendem Blick nahm er die beiden sozusagen bei der Hand und erklärte im Onkelton. „Das ist so: Wenn ich glaube, nur ein Leben zu haben, muß ich darin möglichst viel erreichen. Das gelingt relativ wenigen; die Mehrheit kommt zu kurz, sie verschmutzt die Umwelt sinnlos mit Ehrgeiz und Unzufriedenheit. Habe ich mehrere Leben, verteilt es sich. Mal bin ich unten, mal oben. Alles ist halb so wichtig.“
    „Aber wieso unten?“ Lipi schaute

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