Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
und weiteren Fragen im Gegenzug vorkam: Wie man denn so ein Geschäft aufziehe heutzutage, mitten in der Landschaft? Das sehe doch mehr nach Schicksal als nach Programm aus. Seine Neugier war echt und kam gelegen. Hinter der Nickelbrille blitzte es selbstironisch-erfolgsbewußt. Im Grunde verdanke man das dem Kultusminister, genauer dessen Akademikerabtreibungs-programm, auch Numerus clausus genannt.
    „Eine bemerkenswerte Initiative in Sachen Umweltschutz!“ lobte Lukas.
    Der Bärtige fühlte sich verstanden und wurde episch. Zuerst sei man natürlich total frustriert gewesen — er und seine Freunde — , bis man kapiert habe, daß die bessere Zukunft vielleicht in der Vergangenheit liege, im Antiquitätenhandel zum Beispiel. Er selbst habe ursprünglich Jurist werden wollen, ausgesprochen halbherzig zugegebenermaßen, und er illustrierte seine Gefühle mit Verve.
    „Wo säß ich denn heut? Bei einer Versicherung als Sachbearbeiter für Auffahrunfälle oder in der Industrie als ständiger Werksvertreter beim Arbeitsgericht. Jeden Tag von — bis, im Sommer drei Wochen Rimini, im Winter zehn Tage Arlberg, Aussicht auf ein Reihenhaus mit Aussicht auf ein Reihenhaus, Hoffnung auf erträgliche Raten und daß die Frau ihre Tage wieder kriegt, weil ein drittes Kind Verzicht auf Rimini und Arlberg bedeuten würde.“
    Sein Ton wurde ruhiger: Den Deus ex machina bei der Geschichte habe ein Zeitungsinserat gespielt. Der Riedhof stand zum Verkauf. Bauernhöfe galten gerade als Gipfel städtischer Wohnkultur, und die Schickeria strömte, vom Makler mühsam durch einen Zeitplan getrennt, heraus. Für arme Studenten bestand keinerlei Aussicht. Doch die meisten schreckten vor dem Bauzustand und den erforderlichen Investitionen zurück, hatten zu wenig Phantasie, sich das Anwesen umgebaut vorzustellen, und es lag ihnen zu weit von der Stadt entfernt. Bei dieser Besichtigung kamen der verhinderte Jurist und sein Freund auch noch zu spät. Sie hatten unterwegs einem Bauern geholfen, seinen umgekippten Graswagen wieder auf die Räder zu stellen. Dabei war man ins Gespräch gekommen, und wie der Zufall das so macht, wenn etwas sein soll: der Bauer war mit dem Verkäufer des Riedhofs verwandt. Das gab den Ausschlag, den Zuschlag in diesem Fall. Die heutige Landwirtschaft, zum Ein-Mann-Betrieb herunterrationalisiert, ist bei Unvorhergesehenem mehr denn je auf nachbarliche Hilfe angewiesen. Da sind ständig anwesende junge Leute willkommener, als Städter, die nur am Wochenende gelegentlich vorbeischauen.
    Lukas’ Gedanken waren zwischendurch abgeschweift. Ob Georgia und Detlef genug Phantasie besaßen, sich einen vergammelten Hof renoviert vorzustellen und den Umbau entsprechend anzugehen?
    „Es hat also geklappt“, fuhr der Bärtige fort, „für Angst vor der Courage blieb uns gar keine Zeit. Wir haben alles angepackt, von Babysitten in der Stadt bis zum Studentenschnelldienst im Kuhstall. Nachdem uns die Uni nicht hat einsteigen lassen, sind wir gleich total ausgestiegen. Aber ohne die andern, einschließlich der Bauern, hätte das keiner von uns geschafft.“
    Jetzt waren die Rollen verteilt. Der verhinderte Jurist war Geschäftsführer, seine Frau, Kinderpsychologin im zweiten Semester, - auf Restaurateurin umgesattelt; vom angehenden Zahnarzt zum praktizierenden Uhrmacher war’s nicht so weit — alles Tüftelkram, seine Frau hat vom Lehrfach auf Goldschmiedin umgelernt, Tom, der Junior von Maschinenbau auf Schreinerei, und seine Freundin hat sich von der Bibliothekarin zur Köchin versinnvollt.
    „Wir sind total integriert“, fuhr er fort, „alle bei der Freiwilligen Feuerwehr, ohne Sehnsucht zurück. Wenn der Tag rum ist, können wir sehen, was wir geschafft haben und müssen nicht in die Fluppe glotzen. Nur Tom hat gelegentlich Rückfälle. In den Maschinenbau. Er repariert irgendwo einen Traktor.“
    Auf einmal war’s still auf der Tenne.
    Während er seinen Respekt durch Nicken mit entsprechendem Ausdruck kundtat, überlegte Lukas: Was hab ich in dem Alter gemacht? Mit Passivität brilliert! Aus Snobismus. Die andern waren mir zu wirtschaftswunderemsig...
    Und dann sagte er: „Sie sind nicht ausgestiegen, sie sind umgestiegen. Auf dem Land ist man nicht draußen, nur näher am Sinn als drin.“
    Da konnte der Bärtige, der hier der Macher war, sein Glück nicht länger im Verbalen halten. „Kommen’S, ich zeig Ihnen den Hof.“
    Über eine gußeiserne Wendeltreppe aus Kaisertagen gelangten sie durch eine Tür

Weitere Kostenlose Bücher