Geständnisse eines graumelierten Herren
er nur noch heim, an seinen Hüterplatz, sich was kochen und dann Nützliches tun, einen Zaun reparieren, Türscharniere ölen. Sein Tatendrang schaukelte sich mit dem Tretrhythmus auf, die warme Mahlzeit entfiel. Der Rehschlegel landete im Kühlschrank. Wurst, Käse, Gurke und Brezel stehend in den Mund gestopft, mochten sich im Magen zu Lukullus-Schnittchen vermengen. Derweil nahm er im Zu-Haus Maß, markierte mit Zollstock und Wasserwaage, unter Berücksichtigung des Türstocks den Mauerdurchbruch von der künftigen Diele in den Wohnraum, genau nach Renates Plan, bis der Verwirklichung nichts mehr im Wege stand.
Die Spitzhacke, in seinen Zeichnerhänden anfangs deprimierend schwer, wurde mit jedem Schlag leichter, er traf das Ziel genauer, je mehr er, statt es treffen zu wollen, dabei an anderes dachte.
Die Tür muß rechts angeschlagen sein! Damit sich dem Eintretenden der Raum öffnet. Und alt, vielleicht Eiche, vierzig Millimeter stark. Schön wär ein Ziehschloss...
Auch ein Maurerhammer findet sich. Damit klopft er die herausgebrochenen Ziegelsteine sauber und stapelt sie zur weiteren Verwendung; die Halb- und Bruchstücke sammelt er auf einem Haufen, nimmt wieder Zollstock und Wasserwaage zur Hand, markiert den türlosen Durchbruch zur Küche mit der fensterbretthohen Abstellfläche daneben, ähnlich der sattsam bekannten Kombination von Fenster und Balkontür, nur ohne Pfosten dazwischen.
Was ihm in Schottland nie passiert wäre: die Teestunde mit Wasser aus dem Ziehbrunnen fällt aus. Weltvergessen schuftet er. Herausbrechen, abstützen, herausbrechen, abstützen und hält erst inne, als er aufrecht durchgehen kann.
Ich bin wohl wahnsinnig? Alte Freundinnen hin, alte Freundinnen her — es ist nicht mein Haus. Was ist denn in mich gefahren? Sieht ja gut aus! Jetzt schon. Sehr gut. Genau nach Renates Plan. Sie wird ihre Gründe haben, warum sie ihn nicht realisiert. Mach ich’s wieder zu? Handgelenksübung im Schlenzen mit der Maurerkelle! Die hätt’ ich, wenn ich die Durchbrüche sauber verputze. „Es soll eine Überraschung sein!“ könnt’ ich sagen. „Damit du siehst, wie gut dein Konzept ist.“ Dann hätten wir alle unsern Spaß. Vielleicht. Aber daß ich jetzt erst merke, was ich da treibe...?“
Zum Ausgleich für die schlechte Bewirtung fordert sein Magen am Abend Rehschlegel. Das Herdfeuer knistert in der Küche, der Rehschlegel liegt im eisernen Topf und darüber als Kadenz die Telefonklingel.
Wieso denk ich, das könnte Georgia sein? Meilenweit gefehlt. Täuschend nahes Knacken mit leichtem Nachhall verrät riesige Entfernung, die ersten Worte, „Hallo Lukas!“, kommen wie aus dem Nebenzimmer — über Satellit. Daniela ist gut zu verstehen. Die lange Leitung überträgt ihre Stimme ohne die Stimmung, das macht ihren vertraulichen Ton fremd. Sie berichtet von Eindrücken, die er nicht kennt, zu knapp, um ihn einzubeziehen, daß er immer nur wiederholen kann, wie sehr er sich für sie freut. Nicht anders geht’s mit Renate. Bei ihr wird der Reisedrall spürbarer, vielleicht weil sie Stationen nennt, San Francisco, Grand Canyon, Las Vegas, Death Valley. Jetzt sind sie in Malibu und haben gerade gefrühstückt.
Wie ihn das freut. Auf dem Hof ist alles in Ordnung. Keine besonderen Vorkommnisse. Frau Schmidhuber kommt, der Nachbar schaut nach den Schafen und ihm geht’s auch gut. Überhaupt nicht langweilig, er kann sich schon beschäftigen. Der Anruf war eine gute Idee.
Herzerwärmt kehrt er an den Herd zurück. Nicht Feigheit hat ihn gehindert, vom Zu-Haus zu berichten, vielmehr Rücksicht. Wie sollten sich die beiden Lieben von Malibu aus in ihn hineinversetzen? Und wozu? Egozentrisches Ansinnen. Aus diesem Grund hat er auch die sonntäglichen Besucher nicht erwähnt, und nicht Martina. Aber wieso hat er zuerst gedacht, das könnte Georgia sein? Welche Schwingung ist dafür verantwortlich? Dieser Bereich, den er die Realität hinter den Realitäten nennt, beschäftigt ihn zunehmend. Und Handfestes natürlich.
Die beiden Löcher im Zu-Haus füllen sein Leben für Tage. Den breiten Durchbruch unterfängt er mit einem Balken. Auf der Tenne hat er ihn gefunden und mit archaisch anmutenden Ornamenten verziert. Das schrittweise Einfügen des gewaltigen Holzes in die abgestützte Mauer — und das im Alleingang — fordert den ganzen Mann. Abends, bei schottischer Fiddelmusik und Drambuie kann er keine Männchen mehr malen. Seine leichte Hand ist ein Balken. Sein Glücksgefühl
Weitere Kostenlose Bücher