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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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in den unteren Flur, den sogenannten Flez, der mit hochkant einzementierten Ziegeln gepflastert war. In der durchweg bäuerlich eingerichteten Stube — Eckbank, Tisch, Kommode mit Aufsatz, Stühle, Kanapee — stutzte der Besucher.
    „Alles neu, auf alt gemacht! Zum Herzeigen, was das Unternehmen kann!“ erfuhr er. Viele Kunden, ländliche wie städtische, bevorzugten Formen von gestern in der Fabrikation von heute, damit nichts knarzt oder wackelt.
    Gegenüber im Stüberl saß der Uhrmacher bei der Arbeit, in Kleidung und Haartracht dem Macher sehr ähnlich. In einem unbeschreiblich gemütlichen Durcheinander feilte er an einem hölzernen Zahnrad. Seine Waagbalkenuhren mit Holzräderwerk und nur einem Zeiger seien ein Schlager, ließ er den Besucher wissen, worauf sich hinter der Nickelbrille des Machers ein Grinsen ausbreitete. „Besonders, wenn Irene — meine Frau — sie mit kitschigen Lüfterl-Motiven bemalt. Klosettlüfterlmalerei, wie wir sagen.“
    Irene saß im ehemaligen Roßstall, wo sie auf wurmstichigem Holz mit berechneter Naivität malte.
    „Für Touristen alt genug“, war ihr Kommentar.
    In der Schreinerei, im ehemaligen Kuhstall, arbeitete gerade niemand. „Aber wir schreinern alle mit“, versicherte der Macher auf dem Weg zur früheren Milchkammer, aus der Kinderstimmen drangen. Hier arbeitete die Frau des Uhrmachers, an dem ein Zahnarzt verlorengegangen war. Sie goß Uhrgewichte in Tannenzapfenform.
    Am Boden saßen die Kinder, ungefähr zwischen zwei und fünf Jahren alt und spielten mit fertigen Produkten, die von der kochenden Bibliothekarin bereits glattgefeilt waren. Der Kleinste ließ einen Zapfen auf seinen prallen Schenkel fallen und gab die gewonnene Erfahrung mit lautem Geschrei bekannt.
    Was dem Männchenmaler sofort auffiel: Die weiblichen Mitglieder der Schicksalsgemeinschaft ähnelten einander noch mehr als die beiden männlichen. Strähnenmähnig standen sie vor ihm, in weiten T-Shirts mit verschränkten Armen, zwischen denen die Brustwarzen das schlotternde Gewebe akzentuierten. Unten Jeans, prall volle Schenkel und Hinterteile, ausreichend ungepflegt, dabei auf eine kühle Art herzlich, mehr Kumpel als Betthupferl.
    Und bei allen die gleiche, um Schaltstufen kühlere Reaktion, wenn der Macher ihnen eröffnete, der Besucher wohne zur Zeit auf dem Bühlhof.
    Merkwürdig!
    Was sie von ihm abrücken ließ — das spürte Lukas deutlich — , hatte andererseits einen Sog zur Folge, und es erstaunte ihn keineswegs, daß sie ihn baten, zum Essen zu bleiben. Sie wollten Zeit gewinnen, um etwas Bestimmtes zu erfahren, und da er wissen wollte, was das sein könnte, sagte er zu. Es ist ja nicht uninteressant, sich die Entwicklung von zwei alten Freundinnen aus deren Umfeld zusammenzureimen.
    In der Küche, wo sie sich zu Tisch setzten, wurde er als erstes eines Gegensatzes teilhaftig, der ihn amüsierte: Gestern auf dem Schloß, bei der küchenfaulen Tini, ein Auflauf mit Käse und Schinken, dem auch der nie gehörte italienische Name, den sie ihm gab — vermutlich ein Familienrezept — , das Wasser, in dem er schwamm, nicht entziehen konnte. Dazu und vor allem danach, drei exzellente Weine. Heute ein ebenso unbekanntes, von Bärbel, der Köchin, erfundenes Eintopfgericht, asiatisch-süßsauer, um süchtig zu werden, so köstlich. Dazu ein Sodbrennen-Sonderangebot von Rotwein aus der Zweiliterflasche mit blechernem Kronenkäppchen.
    Tom, der Schreiner kam. Auch er in weltanschaulicher Jugenduniform mit Bart, Brille, verwaschenem Zeug, oben schlapp unten knapp. Nach sparsamster Begrüßung des Gastes, brachte er, hinterherlöffelnd, ländliche Nachrichten. Unter anderem über Maxi, dessen Stallumbau stagniere. Luggi habe das Wochenende nicht trocken überstanden und ihn versetzt.
    Der Gast äußerte sich nicht. Jetzt, da sie vollzählig versammelt waren, fesselte ihn die nachgerade auffällige Unscheinbarkeit dieser sechs jungen Menschen.
    Sie könnten ebensogut zu einer Band gehören, zu einer politischen Minderheit, zu einer Sekte, aber auch in einem Industriebetrieb beschäftigt sein, in caritativen Berufen oder beim Finanzamt. Humor zählt wohl nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften. Das mag mit der unterkühlten Haltung zusammenhängen. Vielleicht sind sie sogar ein bißchen langweilig. Aber hochinformiert! Sie wissen viel mehr als wir seinerzeit. Fröhlicher macht das anscheinend nicht...
    Lukas hörte zu und ordnete Eindrücke. Wieso assoziierte er den Abend auf dem

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