Geständnisse eines graumelierten Herren
belastet der jedoch nicht.
Bei der Post war neben Korrespondenz aus England ein Brief von der Zeitung. Sie haben die Zeichnungen zurückgeschickt. Sehr hübsch, treffe aber den Stil des Blattes nicht.
Sein erster Gedanke: Ich war zu lang im Ausland! Muß mich erst zurückarbeiten. Aber es eilt nicht...
Die Ablenkung regt ihn an. Er notiert sich Eindrücke aus dem Blickwinkel des Zurückgekehrten als mögliche Themen für zu Zeichnendes. Die Wohnung, vergeblicher Einkauf in der veränderten Stadt, die Sonntagsflucht aufs Land, Sehnsucht nach sinnvoller Tätigkeit, intuitive Bereitschaft zum Guten, noch von Profitdenken behindert, — Klischees ja, aber was ändert das?
Auch das Fernsehen hat er zum Vergleich unter Strom gesetzt. In drei Kanälen Fußball, im vierten eine Diskussionsrunde. Aus tiefen Sesseln bekunden säuberlich aufgebahrte Männer Sorge um Deutschland. Exotisch! Nicht einer, von dem er wüßte, was der tut, von dem er das Gesicht schon einmal gesehen hätte und sei’s nur in der Zeitung. Trotzdem kennt er sie alle, die paar Varianten des Funktionärstyps sind ihm geläufig. Eine Vokabel fällt ihm auf, durch gehäuften Gebrauch: dürfen. Vielleicht darf ich das noch erwähnen... Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß...
Und jetzt darf ich Ihnen...
Lukas lachte laut. Woher kommt dieses Dürfenbedürfnis?
Es entlarvt. Wer darf, ist nicht selbst verantwortlich, nicht selber schuld, hat nur die Berechtigung mitzuteilen. Funktionärsdenken.
Den fünften Kanal beherrschen zwei Damen, die mehr unterstreichen, als der Mund sagt: Eine andere Kameraeinstellung bestätigt seine Vermutung: Die Fernsehbäuerin. Mit einer Schauspielerin, einer bekannten offenbar. Cool weht’s aus der Bildröhre, irgendwiehaft und erstaunlich langweilig, Textmannequins führen ein Wegwerfg-spräch.
Er dreht den Ton ab. Fernbetrachtet scheint ihm sein submariner Sündenfall verständlicher als aus der Nähe. Sein Kopfschütteln hat einen anderen Grund: Und so was will ins Zu-Haus!
Dort lockt eine Arbeit die nächste. Die Estriche der drei Räume sind verschieden hoch. Nicht schlimm. Läßt sich ausgleichen. Am besten und am schönsten wär’s, wenn man für den großen Raum dicke, alte Bohlen finden würde. Auf dem Hof, drüben bei der Weggabelung, wo bauernmöbel auf dem Schild am Zaun steht, könnte man mal nachfragen. Aber warum sollte er?
„Grüß Gott, Sie sind der Herr aus Schottland.“
Der verdreckte Maurer läßt die Kelle sinken. Vor dem Zu-Haus im Regen steht ein schmaler Herr in Tweedjacke. Weißer Schnurrbart, Erpelfedern im Hutband, Siegelring am kleinen Finger machen das Raten leicht.
„Grüß Gott. Sie sind der Schloßherr.“
Es stimmt, denn jede Reaktion bleibt aus. Gekannt zu werden ist dem alten Herrn geläufig, er sagt, was ihn herführt. „Die beiden Damen haben mich gebeten, mal nach Ihnen zu schauen, während ihrer Abwesenheit. Was ich hiermit tue.“
Eine Handbewegung zwischen huldvollem Gruß und Richtungsanzeige unterstreicht den Satz. Dazu nennt er seinen Namen. Unversehens geraten die Herren ins Scherzen; den Maurer freut die Überraschung.
„An sich mag ich so was gar nicht“, bekennt der Graf. „Ich find’ es ausgesprochen fad, wenn mir ein Mensch schmackhaft gemacht wird. Womöglich find’ ich ihn fad. Da überzeug’ ich mich lieber selbst.“
„Und dann seh’ ich so aus!“
Die Herrn lachen, der Maurer muß eine Stelle mit der Brettreibe glätten, der Graf sieht das ein.
„Sie sind grad beschäftigt. Aber irgendwann werden Sie ja mal Tee trinken. Wie wär’s bei uns? Meine Frau würde sich sehr freuen. Sie hat Verwandte in Schottland. In Invernesshire...“
Dem Maurer fällt ein dort ansässiger Clan ein. „Ich war in der Gegend ein paarmal zur Grousejagd eingeladen. Bei den Gilliegauldies...“
Verblüffung füllt eine Sekunde. „Bei den Gilliegauldies? Das muß ich Tini sofort berichten! Wie wär’s mit morgen? Wir nehmen den five o’clock um vier.“
Zum Wochenende war das Wetter überraschungssicher. Nieselnde Wolken, die sich seit Tagen an den Alpen stauten, würden Staus auf glitschigen Straßen, und den Einfall von Stadtflüchtlingen über die Ausfallstraßen verhindern. Die Fernsehbäuerin — sie kam so alle vierzehn Tage, wie sie sagte — hatte sich nicht mehr gemeldet. Auch Georgia nicht, die ihm immer wieder einfiel. Noch unrasiert konnte Lukas, mit einwöchiger Verspätung, sein kontemplatives Frühstück nachholen. Ein Blick auf seine
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