Geständnisse eines graumelierten Herren
Wegen.“
Lipi, auf Gemeindegrund, lächelte wie ein Verwandter.
Kein Ende der Kolonne in Sicht. Waldrandscheißer unterwegs zu ihren Arbeitsplätzen!
Lukas erwägt das Motiv für sein Buchprojekt. Auch die uneingeladenen Besucher, wie dieses Parteiwürstchen, das sich nie bedankt hat. Und er wundert sich. Früher wäre er dageblieben, hätte sich überraschen lassen, wer kommt. Hat er sich so verändert? Oder macht Nestbau menschenfeindlich, selbst der für andere? Heute wird er Georgia anrufen. Dabei wäre anderes dringlich, Kisten auspacken, einrichten, Vorhänge müßte er kaufen, ein Auto, Geld anlegen, mit Verlegern reden, statt Mörtel aufs Dach zu schleppen. Er kommt mit dem Ignorieren fast nicht mehr nach.
Zuerst ist er in der leeren, sonnendurchfluteten Stadt herumgefahren, vorbei an Erinnerungen, die nach so vielen Jahren wie aus einer fremden Biographie anmuten. Nicht alle, aber die meisten. Und viel kleiner sind sie. Fremd auch die eigenen Sachen in der neuen Wohnung.
Ich könnt’ die Müller-Passavants besuchen.
In seinem Lieblingssessel mit den Polsterbäckchen auf den Armlehnen hat er’s sich bequem gemacht, doch sitzen bleibt er nicht. Irgend etwas treibt ihn hinaus auf die Terrasse.
Ist es die Ausstrahlung von Beton? Von der chemischen Wandfarbe? Elektrizität aus dem Teppich? Die Kleintierkäfigarchitektur, drei Wände geschlossen, eine voll verglast? Die Aura des Amusischen, wie sie Nobelwohnungen an sich haben?
Wahrscheinlich von allem etwas. Die klotzige Blumenrinne aus Beton läßt ihn umkehren. Er geht wieder in den Wohnraum, packt aus, räumt ein, und knackt schließlich, weil er die Essenszeit im wahren Wortsinn verschwitzt hat, an einer Imbißbude um drei Ecken, eine Bockwurst im Stehen.
Mit pelzigem Mund kehrt er zurück in den Kleintierkäfig, wo er duscht und sein stadtfeines Spiegelbild als angenehme Abwechslung empfindet, mal wieder. Die Füße atmen auf in dem feinen englischen Schuhwerk, nach der Gummistiefelhaft. Bei der Auskunft kann ihm eine Schnupfenstimme, der er erst einmal baldige Besserung wünscht, Georgias Nummer sagen. Adrian ist am Apparat. Die Mami sei weg, zum Essen eingeladen, der Papi auch, aber woanders. Er selbst gehe erst um vier Uhr weg, zum Geburtstag zu seinem Freund.
Die Gesprächlichkeit des Jungen erinnert Lukas an seine eigene bei Alois. Eine Flasche Schnaps hat er ihm geschenkt, als Dank für das Klohäusl, und ihm bei der Gelegenheit das Zu-Haus gezeigt, mit der Bemerkung, er mache den Rohbau fertig und dazu gehöre der Kamin. Seine Überlegung war einfach: Den ländlichen Nachrichtendienst steuern, indem man ihn selber füttert.
Bei Passavants anzurufen hieße, sich die Überraschung schmälern, j beanstandet der Männchenmaler. Lukas wird einfach hingehen. Die Erinnerung zeigt ihm den Weg zurück zu der Villa, wo er damals — gerade um eigene Behausung verlegen und von Daniela empfohlen — sich als kultivierter Haushüter bis ins Boudoir vorarbeitete zur überaus gnädigen Frau, vom einfachen Gatten und vielfachen Aufsichtsrat teuerst alleingelassen, zu Lilly, der Frau, die er liebte und die sein Glück auf dem Gewissen haben sollte, indem sie ihn verließ. Bei seinem letzten Besuch — vor zehn Jahren — gab sie sich Mühe, versäumte Gefühle zu simulieren. Doch dann, wie das Schicksal so spielt, wenn es dem Stück an Tiefe mangelt, trat Andrea, die zur Pflückung herangereifte Tochter, selbstbewußt und stutenbissig in Mamas Pantoffelstapfen an sein Hotelbett und fand es irre schick, mit ihm auf eigene Rechnung durchzubrennen. Der Himmel aber war dem Männchenmaler gnädig gewesen, kurz nach dem Start mußte das Flugzeug notlanden.
Draußen vor der Passavant-Villa alles unverändert: Bäume, Bodenplatten, Klingel ohne Namenschild. Es dauert eine Weile, bis ein jüngerer Mann öffnet. Andreas Mann?
Nein. Müller-Passavants wohnen nicht mehr hier, aber in der Nähe. Sollte die Hausnummer, die der jüngere Mann nicht genau weiß, richtig sein, müßte es sich um den Nachbarklotz neben Lukas’ Wohnung handeln.
Lilly und Alfredo haben sich aufs Alter verkleinert? Erstaunlich! Das bedeutet: Andrea ist aus dem Haus. Um so besser.
Und er stellt sich Lilly vor: Gepflegtest, sündhaft einfach, ganz pastell, die dreifache Perlenkette. Mit ihren langen, geschonten Händen öffnet sie ihm die Tür und sagt kühl wie immer, wenn Alfredo im Hintergrund war: „Hallo, Herr Dornberg! Das ist nett. Kommen Sie rein.“
Tatsächlich! Nachbarn!
Auf
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