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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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der Klingelplatte steht’s. Im zweiten Stock, rechts, nobel-lapidar: M. Bindestrich P.
    Wieso nehme ich zwei Stufen?
    Es dauert eine Weile. Endlich gibt die unhörbar einschwenkende Tür den Blick auf eine Gestalt frei. Weiß das Haar, zierlich, als hätten die Jahre die Vitalität abgesaugt. Aus seidenem Tuch, das den Hals verdeckt, ragt ein Gesicht von jener Glätte hinter den Falten, wie es Industrie und Diplomatie in den oberen Etagen dem Ruhestand übereignen, gleichsam luftleer verpackt. Lang und Vorgebeugt mustert ihn der Alte im seidenen, schottisch gemusterten Hausmantel — Cameron of Erracht, der Tartan des 79. Regiments, Cameron Highlanders — , bis die Gehirnzellen rückmelden. „Hallo, Herr Dornberg! Das ist nett. Kommen Sie rein.“
    In der Diele werden die Herrn kniggeaktiv: So, wieder im Lande... zehn Jahre her... nicht gleich erkannt... alte Adresse gewesen... schon lange nicht mehr... keinesfalls stören... aber ich bitte Sie!
    Neben dem Garderobehaken ein alter Bekannter. Gottvater, süddeutsch, ungefaßt. Auch die Entréekommode wie gehabt.
    Die neue Nachbarschaft erwähnt Lukas nicht.
    Mit Alfredo auf so engem Raum — wie hält Lilly das aus?
    Er wird zum Wohnraum geleitet, die Tür schwenkt ein. Der Blick des Gastes in die Straßburger Bergère vor der vollverglasten Seite des Kleintierkäfigs heischt Conténance.
    Wenn ich meine Memoiren schreibe — das muß ich weglassen! Derart übertreiben darf nur das Schicksal. Nachschilderung wird da zur Schmierendramaturgie.
    In der Bergère sitzt, mit dreifacher Perlenkette — Georgia. Alfredo macht bekannt und erklärt mit seinen großen Händen. „Wir waren lunchen, sind grade gekommen.“
    Die beiden spielen mit. Dieselbe Komödie wie seinerzeit er und Lilly. Aber wo ist sie? Vielleicht bei Andrea?
    „Herr Dornberg ist ein alter Freund der Familie, mußt du wissen“, konversiert Alfredo. „Ja, Herr Dornberg. So ändern sich die Zeiten. Um es gleich zu sagen — Lilly hat Sie doch sehr geschätzt — sie... sie ist nicht mehr am Leben. Sie litt offenbar unter Depressionen, was kein Mensch bemerkte. Hatte ja enorm viel Haltung! Vor fünf Jahren — ich kam abends von einer Geschäftsreise — , da saß sie, hier in der Bergère im Abendkleid. Tot. Ein Schuß durch die Schläfe. Das Kinn hatte sie sich mit einem Hermès-Tuch hochgebunden. Sie war ja eine große Ästhetin, immer die Eleganteste bei den Salzburger Festspielen Leer schaut er in die Betroffenheit.
    Lukas nickt, als habe er schon immer gewußt, daß es so kommen würde. Er sucht Lillys Bild in sich und findet es auf dem Louis-seize-Schreibtisch im Silberrahmen. Angeboren anmaßend die Haltung des Kopfes auf dem schönen Hals, im Ausdruck aber weiblich, nichts von Offizierstod. Heutzutage, wo harte Männer damenhaft Schlaftabletten schlucken, betrunken obendrein, hat sie sich mit dem Revolver emanzipiert, die Schußbahn hellwach im Spiegel überprüft, das Kinn hochgebunden, um nicht entstellt gefunden zu werden. Ein kleines Verzagen — sie wäre blind, doch am Leben.
    Respekt Lilly! Ich halte Selbstmord für keine Patentlösung. Aber es gibt Unterschiede. Dein Blattschuß in eigener Sache beweist den Druck der geordneten Verhältnisse.
    Alfredo reibt seine großen Hände. „In einem solchen Augenblick merkt man erst richtig, wie wenig man sich im Grunde kannte. Dabei befasse ich mich sehr mit Psychologie!“
    Arschloch! — denkt Lukas. Wenn man immer die Eleganteste war bei den Salzburger Festspielen, kann man sich nur noch erschießen! Am liebsten hätte er’s gesagt. Doch sein Besuch bekommt Funktion. Schlagartig wird ihm klar, was mit dieser Verbindung gemeint war: Für jeden gibt es Menschen, denen er begegnen muß, um zu begreifen, daß es da nicht weitergeht. Lilly war nicht schuld an seiner Flucht damals aus dem Land. Sie war nur auslösendes Moment. Sein Leben wäre hier anders verlaufen. Gebrauchsgraphiker in der Werbebranche, beengt durch die Wünsche seiner Auftraggeber, hätte er versucht, Ideen zu verkaufen, ohne welche zu haben, hätte nach Erfolg geschielt, ohne eigenen Blickwinkel. Ein kleiner Alfredo wäre er geworden, ein sehr kleiner. Niemals unabhängiger Männchenmaler.
    Die Umsteiger vom Riedhof fallen ihm ein. Ihre Lilly war der Kultusminister.
    Georgia hat sich aus der Bergère erhoben. Alfredo glaubt sie zu verstehen. Er geleitet sie zum Sofa und erzählt ihr die Geschichte, wie seine Tochter seinerzeit durchbrennen wollte. Mit Herrn Dornberg. Der habe

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