Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
hat die Grillen förmlich zirpen gehört …«
Wir wissen nicht, ob eines unserer Heimchen in der Trauerhalle für eine zusätzliche Untermalung gesorgt hat, aber so ganz sicher, ob wir alle gefangen haben, sind wir nicht.
Olugulade
Man stellt mir auch immer wieder die Frage, ob mich als Bestatter ein Sterbefall noch berühren kann, ob ich mitleide und mitempfinde. Nun, mitempfinden muss man, mitleiden kann man oft nicht, tut es aber hin und wieder doch. Glücklicherweise bestatten wir ja überwiegend alte Leute, die ihr Leben hinter sich haben, deren Zeit einfach gekommen ist. Wollte ich da jedes Mal, so schwer der Verlust auch für die Familie sein mag, großartig in Trauer verfallen, hätte ich keinen klaren Kopf, um die Sache ordentlich abwickeln zu können. Bestatter müssen auch Distanz bewahren. Man würde verrückt, würde man bei jedem Verstorbenen emotional beteiligt sein. Doch es gibt natürlich nicht nur alte Menschen, die sterben, und es gibt Schicksale, die einen ganz besonders berühren. Eine Geschichte hat uns anderthalb Jahre lang beschäftigt. Es ist die längste Geschichte in diesem Buch, weil es da so viel zu erzählen gibt.
O lugulade ist nicht etwa eine besondere Schokoladensorte, Olugulade ist ein Nachname aus Nigeria und gehört einem Afrikaner, der auch noch zwei Vornamen hat, nämlich Kaldawule und Emmanuel.
Insgesamt hört der Mann also auf den Namen Kaldawule Emmanuel Olugulade.
Aber genau genommen hört Kaldawule auf gar nichts mehr, er ist nämlich tot – und es sieht so aus, als würde er uns noch einige Probleme bereiten, denn viel mehr als diesen Namen hat er nicht.
Mittwochabend suchte mich Herr Bauer auf. Herrn Bauer kenne ich schon viele Jahre, er hat hier seine Mutter und seinen Vater bestatten lassen und vor einigen Monaten für seine schwerkranke und pflegebedürftige Frau alles geregelt, die schon seit einem halben Jahr langsam vor sich hin stirbt. Außerdem ist er Vermieter und hat eine Wohnung an ebenjenen Herrn Olugulade vermietet.
Diese Wohnung wollte der Nigerianer gestern gegen 15 Uhr beziehen, ist zu diesem Behufe mit einem angemieteten Kleinlaster vorgefahren und hat sich zwei Straßen weiter den Wohnungsschlüssel bei Herrn Bauer abgeholt und bei diesem große Verwunderung hinterlassen, weil er für das Abladen seines Hausrates keine Hilfe organisiert hatte. Nur sein neunjähriger Sohn Daniel begleitete ihn. Gegen 16 Uhr dauerte Herrn Bauer der Afrikaner, und er beschloss, mal nach ihm zu sehen und ihm bei Bedarf seine Hilfe anzubieten. Doch als er in die Straße einbog, sah er schon den kleinen Daniel herumlaufen, der, wie er dann erfuhr, einen Arzt suchte, denn der Vater habe Husten und brauche Medizin. Herr Bauer nahm das Kind erst mal an die Hand, um nach Vater Olugulade zu schauen. Er konnte aber nicht viel helfen, denn Olugulade saß auf der Toilette und war tot.
Krankenwagen, Notarzt, Polizei, Abtransport durch Pietät Eichenlaub, Rechtsmedizin.
Die Polizei wollte auch Daniel gleich mitnehmen, um ihn dem Notfalldienst des Jugendamtes zu überstellen, doch Herr Bauer meinte, das Kind könne vorübergehend auch bei ihm bleiben.
Nun sitzt er vor mir, will wissen, wie es weitergeht, und ist ziemlich verwirrt.
Mein Einwand, dass sich die Behörden um alles kümmern werden, beruhigt ihn nicht.
»Ich weiß von Herrn Olugulade nur, dass er eine Frau hat, die hochschwanger irgendwo in einem Krankenhaus liegt, ich glaube in Bielefeld. Man kann den Mann doch nicht jetzt einfach beerdigen oder so, ohne dass das geklärt ist.«
»Was hat denn das Kind gesagt, wo seine Mutter ist?«, frage ich.
»Der weiß es überhaupt nicht, der weiß nur, dass sie in einer Stadt mit B ist. Was ist, wenn die die Frau nicht rechtzeitig finden?«
Da hat er recht. Wir sind ja durch die Superermittler vom CSI verwöhnt, die nur die Farbe eines Ohrläppchens in ihren Supercomputer eintippen und sofort auf dem Handy die komplette Strafakte jeder Person nachlesen und diese Person auch noch per Satellitenbild orten können. Die Wirklichkeit deutscher Polizeiarbeit sieht doch ein wenig anders aus, und so erkläre ich Herrn Bauer, dass ich mit den ermittelnden Beamten sprechen werde – mal sehen, ob die ihm helfen können.
»Gut«, sage ich, stehe auf und will Herrn Bauer hinausbegleiten, merke aber, dass er noch etwas auf dem Herzen hat. »Ist noch was?«, erkundige ich mich.
»Ja, ich habe doch den kleinen schwarzen Jungen aufgenommen. Aber mir wird das zu viel mit meiner
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