Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
hat das, was sie sagt, nichts mit dem zu tun, was man selbst gesagt hat.
Wenn ich jetzt schreibe, dass diese Frau eine dumme Kuh ist, sage ich noch viel zu wenig. Und dennoch gibt es Tausende in unserem Stadtteil, die glauben ernsthaft, diese Frau komme gleich nach dem heiligen Franziskus.
Frau Olugulade und ihr Kleiner taten dann noch etwas Unerwartetes. Sie zogen von hier weg. Wortreich, doch ohne dass ich wirklich daraus schlau wurde, erklärte sie mir, dass sie eine tolle Wohnung in einem zwölf Kilometer entfernten Ort gefunden habe und nun unbedingt dorthin ziehen müsse.
Man muss wissen, dass wir ja nicht die Einzigen waren, die sich um die Familie sorgten und kümmerten. Irgendjemand hatte dort etwas Passendes für die Frau und ihre Kinder gefunden und bot ihr sogar eine Arbeitsstelle an. Damit lief alles etwas anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das Ganze zum Nachteil für Frau Olugulade war. Es wäre ihr ja kein bisschen mehr geholfen gewesen, wenn es nun ausgerechnet nur nach meiner Nase gegangen wäre, und wer sagt, dass ausgerechnet das, was ich mir überlegt hatte, auch das Beste war?
Daniel blieb allerdings noch bei uns, insgesamt sollten es fast anderthalb Jahre werden, bis er endlich zu seiner Mutter ziehen konnte.
Er weinte fürchterlich, als er mithalf, seine ganzen Sachen in unseren Wagen zu packen; zu sehr hatte er sich an uns alle gewöhnt. Eine Stunde später war alles vorbei, ich hatte Daniel bei seiner Mutter abgeliefert, die mir aus Dankbarkeit eine selbstgenähte Decke schenkte.
Die Decke halten wir noch heute in Ehren, von Daniel und seiner Mutter habe ich nie wieder etwas gehört …
Tratsch im Treppenhaus
Der Bestatterberuf erfordert nicht nur Einfühlungsvermögen und kaufmännisches Geschick, sondern auch Kraft. Die Menschen werden immer größer und schwerer, und so wiegt heute ein durchschnittlicher, beladener Sarg zwischen 80 und 110 Kilo. Hat man aber einen Mann zu transportieren, der alleine schon 140 Kilo auf die Waage brachte, so kann man sich leicht vorstellen, dass das ein Kraftakt ist. Manchmal wird einem dieser Kraftakt aber auch noch unnötig erschwert, und das Sargtragen wird zur Anstrengung, selbst wenn nur eine schmale alte Dame darin liegt.
I ch glaube, es gibt kaum einen Dialekt, in dem nicht schon das gleichnamige Theaterstück auf irgendeiner Volksbühne aufgeführt worden ist, den meisten wird es mit Heidi Kabel und Henry Vahl in den Hauptrollen besonders in Erinnerung sein. An dieses Theaterstück fühlte ich mich heute Nacht erinnert, als wir einen Verstorbenen aus einem Mietshaus abgeholt haben. Nun ist es sowieso oft schon nicht so ganz einfach, eine Trage mit einem Verstorbenen durch ein enges Treppenhaus zu bugsieren. In diesem speziellen Treppenhaus, von dem hier die Rede ist, wurde das zunächst mal dadurch erschwert, dass auf den Treppenabsätzen ganze botanische Gärten angelegt waren und an den Wänden überall Bilder hingen. Da heißt es doppelt aufpassen und dicke Arme haben, denn es geht oft um Zentimeter, und wenn die fehlen, muss man sich umso mehr plagen und die Trage oft weit über Kopf stemmen, dann wieder ganz tief herablassen, um sie dann wieder hochzustemmen. Das gibt kräftige Arme, geht aber auch ziemlich auf den Rücken. Je mehr Krempel in einem Treppenhaus herumsteht, umso schwieriger wird die Arbeit für uns.
Heute Nacht war es das vierte Obergeschoss, mit der Eingangstreppe also neun Treppen. Auf jeder Etage gab es zwei Wohnungstüren, und in wirklich jeder Wohnungstür standen Leute, entweder einzeln, im Doppelpack oder sogar ganze Familien. Alle steckten neugierig ihre Köpfe vor. Das ist nicht normal, denn üblicherweise bekommt in so einem Haus jeder alles mit, und die wissen ganz genau, dass der Bestatter da ist, und jeder bleibt angesichts unseres Auftauchens in seiner Wohnung. Hier war das anders. Vor allem gab es eine Frau, die sogar nachts einen geblümten Haushaltskittel trug, die uns schon unten an der Tür in Empfang nahm. Zunächst dachte ich, das sei eine Verwandte, erst später stellte sich heraus, dass sie die Hausmeisterin war. Die wich auch nicht von unserer Seite, lediglich beim Umbetten der Verstorbenen blieb sie, wie alle anderen auch, außen vor.
Dann aber übernahm sie das Gesamtkommando. Wild mit den Armen fuchtelnd, bahnte sie uns den Weg, wies ständig darauf hin, dass wir ja das neugestrichene Treppengeländer nicht verkratzen und bloß keine Bilder von
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