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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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das zu wissen. Wir würden uns ja erst in drei Monaten kennenlernen.
Falls ich mich entscheide, ihn noch einmal kennenzulernen,
ermahne ich mich.
    Jack dreht sich zur Seite, seufzt im Schlaf und legt einen Arm um mich.
    Ich bin zwar erst einen Tag weg, aber trotzdem vermisse ich Henry nicht. Ich weiß, dass ich ihn vermissen sollte. Er hatte so viel zu bieten – Sicherheit, Wärme, Verlässlichkeit   –, aber Inbrunst, Feuer, nein, das sicher nicht. Deshalb verspüre ich jetzt auch eine gewisse Erleichterung. Ich fühle mich befreit von den Zwängen unseres gemeinsamen Alltags, von der Nüchternheit einer allem Anschein nach klaustrophobischen Beziehung.
    Vielleicht ist meine Mutter deshalb gegangen?
Der Gedanke schießt mir plötzlich durch den Kopf und erschreckt mich. Vielleicht konnte sie die passive Vertrautheit nicht ertragen, die sich einstellt, wenn man Tag für Tag miteinander das Bad teilt und sich Abend für Abend beim Essen über denselben Kram unterhält. Oder wenn man die Vogelscheiße von dem Range Rover kratzt, der einem eigentlich zu einem strahlenden Bilderbuchleben verhelfen sollte. Vielleicht war ihr das alles zu viel oder vielmehr zu wenig gewesen. Vielleicht hatte sie sich mehr erträumt und konnte das Leben, das sie sich mit Mann und Kindern aufgebaut hatte, nicht länger ertragen.
    Nicht, dass mein Leben mit Henry nicht mehr zu ertragen gewesen wäre. Mein Leben mit Henry war einfach nur windstill. Bei unserer Hochzeit sagten die Leute: «Die beiden werden es schaffen. Die werden sich nicht scheiden lassen, weil er seiner Sekretärin nachgestiegen ist oder sie irgendwann anfängt, sich langsam zu Tode zu trinken.»
    Nein, wir waren das Pärchen aus der Range-Rover-Werbung.Nur dass wir uns fünf Jahre nach der Hochzeit an die Macken des anderen gewöhnt hatten.
    In einer Frauenzeitschrift habe ich mal einen Artikel darüber gelesen, dass Rezeptoren im Gehirn während des ersten Ehejahres immer noch Stoffe aufnehmen, die dafür sorgen, dass man seinen Ehepartner sexuell attraktiv findet. Dann klingt die Wirkung dieser Hormone langsam ab, und irgendwann steckt man fest, paddelt frustriert in den Überbleibseln seiner Libido und in den Erinnerungen an das, was man einst hatte, herum. Falls sich dann keine Möglichkeit ergibt, besagte Rezeptoren wieder kurzzuschließen – ich weiß noch, dass der interviewte Arzt so anregende Erfahrungen wie gemeinsames Skydiving vorschlug   –, kann es in der Ehe ziemlich mau werden.
    Ich habe Henry irgendwann mal davon erzählt, als er eines Abends aus San Francisco anrief, um Katie gute Nacht zu sagen.
    «Vielleicht sollten wir zusammen Skydiven gehen», schlug ich vor, während ich in unserer weißgekachelten Küche eine Gurke schälte. Den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, bekam ich kurz darauf irgendwo an den oberen Rückenwirbeln einen Krampf.
    «Was ist das denn auf einmal für eine Idee?» Henry lachte. «Du hast doch Angst vorm Fliegen!»
    «Weiß ich», quengelte ich. «Aber wir müssen unbedingt den Funken neu entzünden. Und das könnte helfen, habe ich gelesen.»
    «Mit uns ist alles in Ordnung», antwortete er leicht genervt. «Hör auf, dir Gedanken über unseren Funken zu machen. Kannst du mir jetzt schnell noch Katie geben? Ich muss gleich ins Meeting.»
    «Klar.» Ich legte das Messer weg und ging mit dem Telefon in das rosarote Spielzimmer unserer Tochter. Katie zupfte gerade einer inzwischen fast kahlköpfigen Puppe die letzten blonden Strähnen aus.
    Henry sprach kurz mit ihr, gab ihr dann ein fernmündliches Küsschen und leierte für mich ein «Ich liebe dich» herunter, bevor er zu seinen wartenden Kunden eilte.
    Und deshalb habe ich jetzt, wo unser Funke wirklich fast erloschen ist, auch kein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn nicht vermisse.
Ich habe ihn schließlich gewarnt,
denke ich. Ich habe ihm diesen saublöden Artikel sogar nochmal aufs Kopfkissen gelegt und ihn gebeten, den Text zu lesen, damit auch er die typischen Warnzeichen erkennen konnte. Unsere Ehe war ein angeschlagenes Schiff, das langsam unter seinem eigenen Gewicht zu versinken drohte.
    «He!», murmelt Jack verschlafen und zerrt mich aus der Erinnerung. «Wieso bist du denn immer noch wach?» Seine Stimme ist kratzig vom Schlaf.
    Ich zucke mit den Schultern, auch wenn er das im Dunkeln nicht sehen kann.
    «Komm her.» Er zieht mich an sich, und ich atme diesen ganz besonderen Duft nach Sandelholz und Vanille ein, der mich noch sieben Jahre später

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