Gestern fängt das Leben an
an ihn erinnern sollte. Langsam schiebt er sich über mich, zieht die Träger meines Tanktops herunter und bedeckt Schulter und Schlüsselbein mit sanften Küssen. Zur Antwort heben sich ihm meine Hüften entgegen, wie von selbst, und er presst sich dagegen. Schnell, viel zu schnell, zerre ich mir das Top vom Leib, und er sucht sich seinen Weg über meine Brüste hinunter bis zum Bauchnabel und wieder hinauf, bis ich es kaum noch aushalte.
Herr im Himmel! Ich hatte völlig vergessen, wie Sex mit Jack ist,
denke ich.
Himmel, Himmel, Himmel! Himmel nochmal!
Jack und ich finden wie von selbst unseren (alten) Rhythmus, als wäre es nicht schon ein paar Jahre her, dass wir miteinander geschlafen haben. Und als hätte ich mich im Verlauf jener Jahre nicht exklusiv einem anderen hingegeben.
Henry! O Gott, begehe ich gerade Ehebruch?
Eine flüchtige Sekunde lang hoffe ich inständig, der Sex mit Jack zählt nicht als Ehebruch. Denn rein technisch betrachtet habe ich Henry ja noch nicht mal kennengelernt.
Jack dreht mich nach oben, und ich habe das Gefühl, mein Innerstes müsste jeden Moment explodieren.
So ist es mit Henry nie,
denke ich.
So ist es mit Henry nie gewesen.
Und dann verschwende ich keinen weiteren Gedanken mehr an meinen Ehemann – zukünftig oder auch nicht –, weil ich ein paar Sekunden später in weißer Hitze vergehe und überhaupt nicht mehr denken kann.
***
Ich kann immer noch nicht schlafen. Ich versuche es mit jedem Trick, der mir einfällt, summe mir Katies Schlaflieder vor, stelle meinen Atem auf Jacks Rhythmus ein … Aber nichts kann die rasenden Gedanken in meinem Kopf beruhigen.
Was, wenn mein anderes Leben das Leben wäre, das ich mir gewünscht habe? Was, wenn alles nur ein makabrer Traum war?
Hier gibt es keinerlei Spur von Katies fröhlichem Gelächter,das sich durchs Haus verfolgen lässt, kein Saftglas von Henry, das darauf wartet, in die Spülmaschine gestellt zu werden. Es gibt nur mich und dieses neue Leben, wohin auch immer es mich führen wird.
Ich stehe auf und schleiche mich in das andere Zimmer hinüber, von dem Jack so tut, als wäre es sein Arbeitszimmer, obwohl wir im Grunde beide wissen, dass es letztendlich reine Platzverschwendung ist.
Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Denn dieser kleine Geschmack von Freiheit, von Gnadenfrist und Neuanfang fühlt sich so glorreich an, als würde man an einem eisigen Tag eimerweise Sonnenschein inhalieren. Aber trotzdem will ich das andere Leben nicht vergessen.
Und so hole ich mir mit klarem Verstand und zitternder Hand aus Jacks Michigan-Tasse einen Stift und den Notizblock, der neben seinem Drucker klemmt. Dann fange ich an, alles aufzuschreiben. Ich will es festhalten, falls ich wirklich nie mehr zurückkann, falls das hier tatsächlich nicht alles nur ein Traum ist. Denn auch wenn ich mich beklage, ist es trotzdem wert, festgehalten zu werden.
HENRY
Ich habe Henry in einer Bar im East Village kennengelernt, die sich «The Tetons» nannte, wie die Gebirgskette der Rocky Mountains. Der Name war zwar albern (es gab nicht mal die Spur von gewaltiger Gebirgsdeko) , aber doch hilfreich, weil er uns später als wunderbare Smalltalk-Möglichkeit diente.
Ich stürzte mich ins Getümmel und sah mich nach Ainsley um, die mit dem Zug aus Westchester kommen wollte.
Jack und ich befanden uns mehr als nur ein bisschen in der Krise, und ich brauchte dringend eine Schulter zum Ausheulen.
Da Ainsley sich verspätet hatte, setzte ich mich an die Bar, bestellte einen Cosmopolitan und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, um die kleinen Knötchen zu lösen, die das frühoktoberliche Wind-und-Regen-Wetter mir beschert hatte. Winzige Regentröpfchen fielen zu Boden und landeten auf den bierfleckigen Fliesen. Von meiner Warte aus betrachtet, taten sie dem Boden einen Gefallen.
Neben mir war ein Mann mit schmaler Nase und gleichmäßigem Teint gerade damit beschäftigt, Erdnüsse zu knacken. Mit seinen eleganten Fingern stapelte er die Schalen zu einem ordentlichen Türmchen. Ich beobachtete ihn so unauffällig wie möglich und kam zu dem Schluss, dass er Architekt sein musste. Ein Blitzurteil. Allerdings hatte ich keinerlei Ambitionen, der Sache weiter nachzugehen, bis er sich zu mir umdrehte und sagte: «Kennen Sie die Tetons? Ich meine, abgesehen von dieser Bar, die offensichtlich nicht gerade viel mit den echten Tetons zu tun hat.»
Er lachte, völlig unbefangen und kein bisschen beschämt von seiner offensichtlichen
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