Gestern fängt das Leben an
riecht nach Würstchen, und ich höre Geklapper aus der Kombüse und frage mich, wer uns wohl das Frühstück macht.
Liebevoll streichle ich Henry über den Bauch, spiele mit den weichen Härchen, die direkt unter seinem Nabel sprießen. Dann erklingt plötzlich ein Nebelhorn, dröhnt in der Ferne wie eine gebärende Kuh. Das Geräusch wühlt mich auf, und mich fröstelt. Als ich an mir hinuntersehe, merke ich, dass mein Bauch schon gewachsen ist, dass er vor meinen Augen größer und größer wird, sich aufbläht wie ein Fremdkörper, wie ein Kugelfisch oder ein Heliumballon. Panisch versuche ich, aufzustehen, aber ich kann nicht. Ich liege gelähmt im Bett und kann nur voller Entsetzen zuschauen, wie mein Körper so dick wird, dass ich jeden Augenblick zu explodieren drohe.
«Henry!», schreie ich so schrill, dass unser winziges Bullauge zu bersten droht. «Es ist zu früh! Ich habe es doch gerade erst gemerkt! Es ist noch viel zu früh!» Ich strecke die Hand nach ihm aus, aber da ist nichts.
Verzweifelt versuche ich, mich zu bewegen, meine gleichgültigen Muskeln unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich schaffe ich es, mich aufzusetzen. Ich stemme mich gegen das ungewohnte Gewicht meines Bauchs und schreie wieder: «Henry! Henry, komm her! Sofort!»
Aber er antwortet nicht. Um mich herum herrscht Stille. Sogar die Schiffshörner und das Zischen der Würstchen inder Pfanne sind nicht mehr zu hören. In den letzten keuchenden Sekunden meines Albtraums liege ich bleischwer im Bett, aufgebläht und merke voller Angst, dass ich vollkommen allein bin.
Henry ist weg, verschwunden im schwarzen Wasser, das mit jeder Welle heftiger gegen das Schiff schwappt. Als sei er nie da gewesen, als hätte es ihn nie gegeben.
***
Schweißgebadet wache ich auf und starre eine gefühlte Ewigkeit auf den Deckenventilator. Ich lausche den Möwen am Strand und schlafe schließlich wieder ein. Ich träume nichts mehr, zumindest nichts, an das ich mich erinnern kann. Ich bin im Tiefschlaf verloren, bis das Klingeln eines Telefons mich aus dem Schlaf reißt.
Jacks Hand schießt zum Nachtkästchen und bekommt sein Handy zu fassen. Ich sehe auf den Wecker mit der Leuchtanzeige. Es ist 5 : 15 Uhr.
«Hm?», grunzt Jack. «Hallo?» Und nach einer Weile fragt er: «Geht es ihr gut?» Er tastet nach dem Lichtschalter und knipst die Lampe an.
Vom Licht geblendet, werfe ich mir die Decke über den Kopf.
«Wieso hast du mich nicht früher angerufen?» Sein Tonfall wird immer dringlicher. «Nein, natürlich nicht, ich wäre sofort gekommen. Ich bin mit Jill unterwegs. Nein, nein, nur ein Wochenendtrip. Überhaupt kein Thema.»
Ich schäle mich aus der Decke und werfe ihm einen irritierten Blick zu.
«Nein, nein, ich fahre sofort los. Ich bin in ein paar Stundenda. Okay. Ja … Bis dann.» Jack steht auf und angelt sich seine Jeans von dem Korbstuhl in der Ecke.
«Was ist los?», frage ich. Meine Stimme ist heiser vom Schlaf, und ich schmecke meinen sauren Atem.
«Meine Mutter …» Er zieht sich ein T-Shirt über den Kopf und schlüpft mit übermenschlicher Geschwindigkeit in seine anderen Klamotten.
«Ist alles okay mit ihr?» Ich stütze mich auf die Ellbogen und durchforste mein Gedächtnis. Aber ich habe keinerlei Erinnerung an irgendwelche Herzinfarkte, Autounfälle oder andere Grausamkeiten.
«Sie hat sich die Hüfte gebrochen», erklärt Jack. «Gestern Abend. Sie wollte die Lichterketten für ihre Labour-Day-Party in den Baum hängen und ist von der Leiter gefallen.»
Ach ja, richtig. Jetzt erinnere ich mich.
«Ich fahre zu ihr ins Krankenhaus. Tut mir leid, Baby, wenn ich das Wochenende abbrechen muss.» Er versucht, die Füße in die Turnschuhe zu quetschen, ohne die Schnürsenkel aufzumachen.
«Gut. Ich komme mit», sage ich. «Ich fahre selbstverständlich mit dir mit.» Ich schwinge die Beine aus dem Bett und spüre ein schmerzhaftes Ziehen in meinem Rücken. Mein Körper sehnt sich nach ein paar mehr Stunden traumlosen Schlaf.
«Nein.» Er schüttelt den Kopf. «Nein, nein. Schon okay. Bleib du hier und mach dir noch eine schöne Zeit.»
«Sei nicht albern, Jack. Ich will mitkommen. Dir Gesellschaft leisten. Das machen Freundinnen so.»
«Wirklich, Baby, mach dir keine Sorgen. Ich komme gut allein zurecht. Ich will nur so schnell wie möglich los, damit ich da bin, wenn sie aufwacht.» Er geht ums Bett heruman meine Seite, um mich zu küssen. Meine Gegenwart bei einem Notfall in der
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