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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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kenne, als ich diejenige war, die mit großem Enthusiasmus durch die Gegend lief.
    «Vielleicht», sage ich. «Hast du es je bereut? Ich meine, du und Tyler, ihr habt so jung geheiratet. Also, nicht dass ihr nicht perfekt füreinander wärt, aber   … Ach, keine Ahnung.» Ich trinke einen Schluck Bier. «Ich weiß selbst nicht genau, was ich gerade zu sagen versuche.»
    «Ich weiß, was du meinst», sagt Meg. «Eigentlich bereue ich nichts. Ich hätte mir zwar nie im Leben träumen lassen, dass wir in diesem Alter immer noch kinderlos sind, aberabgesehen davon? Nein. Er macht es mir ziemlich leicht, verheiratet zu sein.»
    Ich nicke und starre zu der Familie hinunter. Die Mutter verteilt inzwischen Sandwichs, während der älteste Bruder den jüngsten im Schwitzkasten hat. Megan folgt meinem Blick.
    «Ich weiß einfach, dass ich eine sehr gute Mutter wäre», seufzt sie. «Und ich kann momentan einfach an nichts anderes denken. Wie sehr eine Mutter ihr Kind lieben muss, und wie es sich anfühlen muss, all diese Liebe zurückzubekommen. So, als wäre man endlich nicht mehr allein.»
    Ich sehe sie erschrocken an. «Meg! Du bist nicht allein! Du hast Tyler. Du hast mich. Ich hoffe, du fühlst dich nicht allein!»
    «Nein. Das kam falsch rüber», sagt sie und wedelt mit der Hand. Da, wo sie die Nagelhaut abgebissen hat, leuchten wunde, rosarote Stellen. «Ich will damit sagen, ein Kind ist mit dir für immer verbunden, und egal, was auch passiert, das kann dir keiner mehr nehmen.»
    Plötzlich muss ich an Katie denken. Und mir wird bewusst, wie recht Megan hat. Auch wenn ich mit aller Macht versuche, Katie nicht zu vermissen, es ist unmöglich: Die Erinnerung an sie liegt wie ein Film auf meiner Haut, der sich nicht abwaschen lässt. Ob meine eigene Mutter mich irgendwann mal so wild und hemmungslos und inbrünstig geliebt hat, wie ich Katie liebe?
    Eine Szene kommt mir schnell und ohne Anstrengung ins Gedächtnis. Ich war neun, und mein Vater war geschäftlich verreist, wie so oft. Sein Unternehmen führte ihn auf der Suche nach neuen Geschäftspartnern rund um den Globus. Mein Bruder Andy war schon im Bett; die Sommerhitzehatte ihn umgehauen, und er war gleich nach unserem Abendessen aus gegrillten Tomaten mit Käse eingeschlummert. Die Sonne ging eben erst unter, und der Himmel war noch nicht dunkel. Ein letztes Leuchten lag darüber, und im Gebüsch bettelten blinkend Glühwürmchen darum, gefangen zu werden. Ich schnappte mir zwei Marmeladengläser und rannte die Veranda hinunter, drückte meiner Mutter, die gerade mit dem Gießen fertig war, eines davon in die Hand und zog sie mit mir. Kichernd folgte sie mir durch den Garten. Etwa eine Stunde lang fingen wir Glühwürmchen, um sie anschließend wieder fliegen zu lassen. Lange nachdem das letzte Licht verschwunden war, kehrten wir mit dreckigen Händen und verschwitzten Hälsen in die Küche zurück und machten uns über den Nachtisch her. Wir türmten riesige Mengen Eiscreme auf unsere Schalen und verschlangen sie in Windeseile. Als meine Augenlider zu schwer wurden, um sie noch offenzuhalten, trug meine Mutter mich in mein Zimmer, breitete die Decke über mich und gab mir – verdreckt, wie ich war – einen Gutenachtkuss. Und das war für meine Mutter eine große Ausnahme.
    Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich nicht ein paar Details dazuerfunden habe. Allzu oft kehre ich in meiner Erinnerung an jenen Abend zurück. Vielleicht waren es nur zwei Kugeln Eis gewesen. Vielleicht verbrachten wir keine ganze Stunde im Garten, sondern nur fünfzehn Minuten. Ich kann es beim besten Willen nicht mehr sagen. Aber dies ist die eine Erinnerung daran, dass meine Mutter vielleicht doch nicht das Monster war, zu dem ich sie später gemacht habe. Vielleicht wurde ich tatsächlich von ihr geliebt. Und vielleicht hatte ihre Flucht vor der Familie damals doch nichts mit mir, sondern viel mehr mit ihr selbst zu tun.
    «Meine Mutter hat mir einen Brief geschrieben», sage ich zu Megan. Unsere Blicke sind immer noch auf das Familienpicknick geheftet. «Achtzehn Jahre gar nichts, und jetzt schreibt sie mir plötzlich einen Brief. Nimmt aus heiterem Himmel Kontakt zu mir auf.»
    Meg sieht mich an, ihr Gesicht zeigt eine Mischung aus Hoffnung und Erstaunen. Aber auch Mitleid. Sie kennt die Wunden, die meine Mutter mir beigebracht hat, und wie hart ich daran arbeitete, diese Wunden zu heilen. Sie kennt Details, die Jack nicht kennt – und die auch Henry nicht erfahren hat. Meg war

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