Gestern fängt das Leben an
verlängerten Labour-Day-Wochenende sitze ich im Strandhaus von Megan und Tyler in Jersey auf derTerrasse, lasse mir ein herbes Amstel auf der Zunge zergehen und schwinge in der weißgestrichenen Hollywoodschaukel aus Holz hin und her. Jack und Tyler spielen in den tosenden Atlantikwellen Fußball.
Vor sieben Jahren war ich auch schon hier, aber ohne Jack. Er war zwar eingeladen gewesen, aber wir hatten mal wieder einen fürchterlichen Streit wegen seiner Schreiberei oder genauer gesagt, wegen seiner und meiner Zukunft gehabt.
«Hör endlich auf, mich zu drängen!», schrie er damals so laut, dass es auch die Nachbarn hörten. «Meine Mutter setzt mich unter Druck. Du setzt mich unter Druck. Ich komme mir vor wie in einer Zange. Herrgott! Ich schreibe, wenn ich kann, und jetzt hör auf!»
«Bin ich etwa wie deine Mutter? Willst du das sagen?», hatte ich zurückgeschrien. «Ich dachte, dein blöder, bescheuerter Scheißroman macht dich glücklich! Dann solltest du auch langsam mal damit fertig werden, statt immer mit deinen Kumpeln abzuhängen.» Ich war dabei wütend vor unserer Couch hin und her getigert.
«Er macht mich auch glücklich. Aber dieser verdammte Druck nicht! Also hör auf damit. Hör endlich auf!»
«Gut», hatte ich gepresst geantwortet. «Dann schick deiner Mutter bitte eine Gesprächsnotiz. Ich habe nur versucht, es euch beiden recht zu machen.»
Das entsprach von meiner heutigen Warte aus betrachtet vielleicht nicht ganz der Wahrheit. Denn ich habe eigentlich nie versucht, Vivian etwas recht zu machen, aber damals dachte ich, es könnte nicht schaden, so zu tun als ob. Eigentlich wollte ich weniger Vivian gefallen, als vielmehr Jack dazu bringen, etwas aus seinem Leben zu machen. Mitfast dreißig sollte er sich nicht mehr so benehmen, als wäre er immer noch Anfang zwanzig.
Nach dem Streit war ich allein mit dem Mietwagen zu Megs Sommerhaus gefahren.
Doch diesmal war Jack mit dabei. Und als er vor unserer Abfahrt gemurmelt hatte, er müsse jetzt wirklich mal an seinem Roman weiterschreiben
,
hatte ich nur gelächelt und ihm meinen Arm um den Hals gelegt.
Jack will einfach noch nicht erwachsen werden,
sagte ich mir.
Aber er ist immer noch besser als die Alternative, ganz bestimmt sogar.
Deshalb bestärkte ich ihn und erklärte: Er würde schreiben, wenn die Inspiration käme, und dürfe nicht versuchen, etwas zu forcieren, das noch nicht bereit war, sich zu zeigen. Er hatte genickt und mich auf die Stirn geküsst. Kurz darauf düsten wir über den Highway runter an die Küste.
Meg bringt mir noch ein Bier mit auf die Terrasse und sich selbst eine Limonade.
«Trinkst du nichts?», will ich wissen.
«Das ist lediglich eine Vorsichtsmaßnahme», erwidert sie. «Ich weiß es frühestens in einer Woche. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen.»
«Meg», sage ich und lege ihr die Hand auf den Arm. «Du weißt, dass die Fehlgeburt nichts damit zu tun hatte, was du vielleicht getan oder gelassen hast. Das hat der Arzt doch ganz eindeutig gesagt.»
«Man kann nicht vorsichtig genug sein.» Sie zuckt die Achseln und nippt an ihrer Limonade.
«Bist du sicher, dass du nicht doch mit mir darüber reden willst? Über das, was du durchmachst?», frage ich, was ich sie seit unserer Fahrt ins Krankenhaus nun bestimmt schon ein Dutzend Mal gefragt habe.
«Nein.» Sie schüttelt den Kopf. «Mir geht es gut. Es ist passiert. Es ist Scheiße. Aber mir geht es gut.»
Ich will noch etwas sagen, aber ich beiße mir auf die Lippe und schlucke es runter. Es ist immer noch irritierend, Meg zurückzuhaben, munter und lebendig, auch wenn sie emotional häufig so welk ist wie ein Kopfsalat, der zu lange im Kühlschrank lag. Also bewege ich mich wie auf Zehenspitzen, um das große Glück nicht wieder zu verlieren, das die Wiederentdeckung einer Freundin mit sich bringt, die man schon mal verloren hatte, und zwar endgültig.
Eine fünfköpfige Familie samt Golden Retriever spaziert über den Strand und lässt sich genau vor der Terrasse zu einem spätnachmittäglichen Picknick nieder. Der Wind macht sich ständig an der Decke zu schaffen, und das jüngste Kind, ein Rotschopf von höchstens acht Jahren, rennt von Ecke zu Ecke und beschwert die Decke mit Taschen.
«Wie dem auch sei», sagt Meg und sieht zu, wie die Familie die Kühlbox auspackt. «Du und Jack, ihr wirkt zufrieden. Muss ich auf Verlobungshut sein?» Sie schenkt mir ein breites Grinsen, ein Grinsen, das ich selbst noch zu gut aus meinem alten Leben
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