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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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damals bei meiner Verabschiedung von der Highschool dabei, als mein Vater allein zwischen all den Elternpaaren saß, die – ob geschieden oder nicht – gemeinsam gekommen waren, um ihr Kind an diesem Tag zu begleiten. Sie war auch an meinem einundzwanzigsten Geburtstag dabei, als ich sturzbetrunken in einer Bar saß und lallte:
«Scheiße! Nada, nichts. Keine einzige Zeile!»
Morgens hatte ich meinen Briefkasten geöffnet, in der Hoffnung, eine Glückwunschkarte von meiner Mutter darin zu finden. Natürlich vergebens.
    «Ach du meine Güte, Jill, das muss schwierig für dich sein.» Sie fasst nach meiner Hand. «Alles okay?»
    Ich nicke, und zum ersten Mal, seit ich den Brief bekommen habe, dürfen die Tränen fließen. Ich wische mir eine weg, die es bis zum Kinn geschafft hat.
    «Ich weiß nicht, was ich machen soll», schluchze ich. «Anrufen? Nicht anrufen? Ich habe Jack um Rat gefragt, aber der ist mir keine große Hilfe.»
    «Wen kümmert es denn, was Jack tun würde?», fällt Megan mir ins Wort. «Wirklich, Jill, das hier hat nichts mit Jack zu tun oder mit seiner Meinung.» Meg zieht michzu sich heran und küsst mich auf den Kopf. «Das hier hat nur was mit dir zu tun und mit deinen Bedürfnissen. Verwechsle das bitte nicht.» Sie unterbricht sich und trinkt die Limonade aus. «Wenn du dich dazu entschließt, sie anzurufen, dann doch nur, weil es deinem Bedürfnis entspricht.»
    «Glaubst du wirklich, dass Mutterliebe über allem steht?», frage ich und denke wieder an Katie, und daran, dass die Last der Mutterschaft manchmal unerträglich ist, obwohl ich sie so sehr liebe, dass es mir fast das Herz zerreißt.
    «Ja, das tue ich», sagt Meg und steht auf. Sie öffnet die Fliegengittertür und geht in die Küche, um kurz darauf mit einer weiteren Flasche Bier und einer frischen Limonade zurückzukommen. «Nenn mich meinetwegen eine unverbesserliche Optimistin, aber ich glaube trotzdem daran.»
    ***
    In meinem alten Leben habe ich oft von Jack geträumt. Er meldete sich immer völlig unerwartet und erinnerte mich an das Leben, das ich zurückgelassen hatte. Gleichzeitig aber auch an das Leben voller Zweifel, das ich mit Henry führte. Die vielen «Was wäre wenn»-Gedanken, das schwärmende Bedauern und die Verstimmung über kahlgerupfte Barbiepuppen und verschüttete, ranzige Milch auf dem Rücksitz meines Range Rover.
    In diesen Träumen waren Jack und ich immer glücklich, wir stritten nie, und es gab keine nagenden Zweifel, die uns von innen her auffraßen.
    Diese Träume spielten sich vor dem Hintergrund erfundener Realitäten ab. Reisen, die wir nie gemacht hatten, Geschichten,die wir so nie erlebt hatten. Aus diesen Träumen erwachte ich stets mit dem Gefühl, als hätte sich eine Zecke in meinem Magen eingenistet, die mich mit einer bohrenden Frage quälte: Wo war Jack jetzt? Wie ging es ihm? Und träumte er jemals von mir?
    Doch heute Nacht, unter einer bunten Patchwork-Decke, geborgen im Strandhaus meiner Freunde, mit dem sanften Wellenschlag des Ozeans und Jacks gleichmäßigem Atem im Ohr, träume ich von Henry.
    Im Traum ist es Sonntagmorgen. Henry schläft noch tief und fest und murmelt im Schlaf vor sich hin. Wir sind auf einem Schiff, und ich luge durch ein winziges Bullauge hinaus auf dunkelblaues, beinahe schwarzes Wasser und einen wolkenlosen, strahlenden Morgenhimmel. Ich schlüpfe aus dem Bett, bemühe mich auf dem schwankenden Boden, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und gehe ins Bad. Dort mache ich eine erstaunliche Entdeckung und kehre sofort wieder zurück zu Henry.
    «Ich bin schwanger!», flüstere ich ihm ins Ohr und schüttle ihn sanft.
    Henry grunzt und schnauft und rührt sich nicht.
    «Ich bin schwanger, Hen!», wiederhole ich deutlich lauter.
    Mit einem Ruck schlägt er die Augen auf und scheint sofort zu begreifen. Er zieht mich zu sich herunter, wirft mich aufs Bett und schwingt sich über mich. Das Schiff schlingert, und wir werden fast auf die fleckigen Eichendielen auf dem Boden geworfen. Blitzschnell fassen wir beide nach dem Kopfende des Bettes wie nach einer Rettungsweste, bis das Schiff sich wieder beruhigt hat.
    «Komm her, mein fruchtbares, trächtiges Weib», sagter atemlos und zieht mich eng an sich. Ich kuschle mich an ihn, und wir liegen schweigend da, unsere Brustkörbe heben und senken sich im Einklang mit den Wellen.
    Ich schaue auf Henrys Zehen, die in meinem Traum viel zu lang sind. Unproportional lang nehmen sie fast seine gesamten Füße ein. Es

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