Gestern fängt das Leben an
wegzuräumen.
«Freizeit? Ich habe gar keine Freizeit mehr! Glaubst du, diese ganze Mamikiste ist Urlaub?» Ich setzte empört die Tasse ab, und sie landete heftiger als beabsichtigt auf dem Tisch. Der Tee schwappte über den Rand. Schnell wischte ich mit dem Ärmel meines Sweatshirts darüber, in der Hoffnung, dass Henry nichts gemerkt hatte. «Ich stille sie, oder ich bade sie, oder ich wechsele Windeln, oder ich unterhalte sie. Und wenn das Kindermädchen kommt, gehe ich einkaufen! Ich habe nicht eine einzige Sekunde Freizeit! Vielen Dank!»
«Um Himmels willen, Jill, das war doch nur ein Vorschlag. Manchmal kann es ganz gesund sein, ein bisschen Zeit ohne das Kind zu verbringen.»
«Dann bin ich also krank?» Mir brannten Tränen in den Augen.
«Ach du meine Güte! Beruhige dich wieder. Es war nur eine Idee.» Mit diesen Worten verschwand Henry ins Wohnzimmer, und ich hörte, wie der Fernseher angeschaltet wurde.
«Wenn dir mein Freiraum auf einmal so wichtig ist», rief ich ihm hinterher, «wieso hast du mich dann gezwungen, meinen Job aufzugeben?»
«Was redest du denn da?» Henry tauchte mit der Fernbedienung in der Hand im Türrahmen auf. «Du wolltest doch aufhören zu arbeiten! Ich habe dich nicht dazu gezwungen!»
«Wie kannst du das sagen? Du hast mich hier aufs Land gezerrt, und jetzt erzählst du mir, ich würde kränkeln und bräuchte mehr Freiraum und müsste mal raus aus dem Haus … Bla, bla, bla!»
«Du warst doch mit allem einverstanden! Von Herzen!» Henry wurde laut und schlug mit der Faust gegen den Türrahmen. «Himmel nochmal, das ist jetzt der Dank dafür, dass ich dir einen schlichten Vorschlag gemacht habe?»
«Sei leise!», zischte ich ihn an. «Du weckst Katie auf.»
Aber es war zu spät. Sekunden später hörte ich sie schon schreien. Ich spürte Henrys bohrenden Blick in meinem Rücken, als ich zu unserer weinenden Tochter eilte. Ich wusste nicht, wer verstörter war: sie oder ich.
Deshalb fällt es mir jetzt, auf der Bank im Zoo, so leicht, zu begreifen, was Leigh damit sagen will: Mutter zu sein, kann einen erfüllen und gleichzeitig auch vollkommen aussaugen.
«Willst du noch mehr Kinder haben?», frage ich sie, nachdem Allie zurückgekommen ist und uns um Eisgeldangebettelt hat. In einigen Metern Entfernung verkauft ein Mann aus einem Wagen heraus Getränke und Eis.
«Vielleicht», sagt Leigh. «Mal sehen.» Sie zuckt die Achseln, dann lacht sie plötzlich. «Irgendwie habe ich jetzt erst das Gefühl, dass ich kapiere, wie dieses Mutterding läuft. Mit einem zweiten Kind geht die ganze schöne Balance vielleicht den Gully runter.»
«Na ja, ich bin nicht gerade Expertin auf dem Gebiet, aber ich finde, du machst das doch ganz gut», sage ich und nicke in Allies Richtung.
Die Kleine überreicht dem Eismann drei Dollar und überlegt lange hin und her, welche Sorte sie nehmen soll, als sei die Entscheidung lebenswichtig.
«Hoffentlich», erwidert Leigh. «Ich glaube, man versucht einfach, sein Bestes zu geben. Aber niemand sagt einem jemals, dass sein Bestes zu geben auch gut genug bedeutet.»
Allie entscheidet sich schließlich für Erdbeere und kommt zu uns zurück. Das Hörnchen schwankt gefährlich in Richtung Boden wie eine nicht ausbalancierte Wippe, bis sie es in letzter Sekunde wieder aufrichtet.
Leigh lächelt mich an und meint, dass wir uns häufiger treffen sollten.
Ich nicke und lasse dann meinen Blick über die üppigen Bäume in unserer Nähe schweifen, die bald schon ihre Blätter verlieren werden. Leighs Worte gehen mir wieder und wieder durch den Kopf.
Mein Bestes hätte eigentlich genug sein müssen
, denke ich.
Wieso hatte ich nur nie das Gefühl, dass genug auch genügte
?
HENRY
Wir zogen nach Westchester, als ich im sechsten Monat schwanger war. Sechs Wochen zuvor hatte ich bei DM&P aufgehört, mein Bauch wölbte sich bereits zu einer perfekten Kurve, und meine Brüste waren voll wie zwei pralle Honigmelonen.
Henry meinte, ich würde mit der Sonne um die Wette strahlen, und, um die Wahrheit zu sagen, hatte ich genau das erreichen wollen: von innen heraus zu leuchten in freudiger Erwartung auf dieses neue Wesen. Als könnte ich meine Haut mit purem Willen dazu zwingen, einen Hauch rosiger zu sein, meinen Teint dazu, noch etwas mehr zu schimmern, meine Ausstrahlung, noch etwas mehr zu strahlen. Ich überzeugte damit nicht nur Henry, sondern auch mich selbst – dabei hatte ich fürchterliche Angst davor, die Verletzungen durch meine
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