Gestern fängt das Leben an
ein Gläschen eingeladen hatte – nicht so sehr, um ihn um Erlaubnis zu bitten, sondern um ihm zu versichern, dass er für den Rest meines Lebens auf mich achtgeben würde. Er hatte keine Einwilligung benötigt, und für dieses Selbstvertrauen hatte ich ihn bewundert. Er zweifelte seine Entscheidungen nie an, weil seine Entscheidungen für ihn immer sinnvoll waren, wie ein mathematisches Problem, das sich nach einer genauen Formel lösen ließ.
«Na ja, natürlich brauche ich ihre Zustimmung», erklärte Jack, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt. «Die Familie steht doch an erster Stelle, und wenn du Teil meiner Familie wirst, dann möchte ich sicher sein, dass wir alle zusammenpassen.»
«Wir sind seit zwei Jahren zusammen. Und jetzt machst du dir auf einmal Gedanken darüber, ob wir alle zusammenpassen?», frage ich knapp und suche nach meinen Turnschuhen. Ich will noch eine spätabendliche Runde um den Block drehen.
«Na ja», erwidert er und kommt mir nach. Er legt mir die Hände auf die Hüften. «Vielleicht bin ich ja inzwischen bereit, es länger als zwei Jahre durchzuziehen.»
Ich mache den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber mir fehlen angesichts dieser Anspielung –
Das war doch eine Anspielung, oder?
– schlicht die Worte. Aber ich beschließe, den Ärger über sein Bedürfnis familiärer Einwilligung runterzuschlucken. Ich bin inzwischen so daran gewöhnt, Dinge nicht zu sehen, dass mir das nicht sonderlich schwerfällt. Der linke Schuh sitzt zu locker, und ich wackle mit der Ferse, um besseren Halt zu bekommen.
«Okay, geh du laufen», sagt er. «Ich werde den Computer hochfahren und schreiben. Wenn ich mich den nächsten Monat jeden Abend nach der Arbeit hinsetze, habe ich bis Thanksgiving was für die Agenten fertig.»
«Klingt gut», brumme ich missmutig. «Aber das sagst du doch jedes Mal.»
«Was soll das heißen?», fragt er und legt den Kopf schief.
«Nichts.» Ich zucke die Achseln, aber es ist zu spät. Die winzige, wertende Bemerkung ist mir entschlüpft, ehe ich etwas dagegen tun konnte.
«Netter Versuch. Aber was hast du damit gemeint?», fragt er.
«Vergiss es», antworte ich und gehe zur Tür, um wenigstens noch die letzten Sonnenstrahlen abzubekommen.
«Nein, Jill, im Ernst. Was sollte das eben heißen, verdammt nochmal?»
Ach scheiß drauf
, denke ich. Sein Spruch eben über Leigh beißt wie ein missratener Floh. Ich habe mich eben provoziert gefühlt, weil mich immer noch seine Weigerung vom letzten Wochenende fuchst, mich mit zu seiner Mutter zu nehmen. Sosehr ich mir auch einzureden versuche, dass mich das nicht mehr fuchst, innerlich koche ich vor Wut. Sein Unvermögen, sich diesbezüglich irgendwelche Fehler einzugestehen, trägt ein Übriges dazu bei.
Und wieso sagst du es dann nicht einfach? ,
frage ich mich. Stattdessen höre ich mich reden: «Es ist einfach dein Muster, weißt du? Du fängst an mit dem Schreiben, dann hörst du wieder auf, dann setzt du dich wieder dran, dann findest du eine Ausrede, es nicht zu tun, dann raffst du dich wieder auf … Aber es kommt nie was dabei heraus.» Ich stocke. «Ich frage mich einfach nur, wieso du dir überhaupt die Mühe machst, obwohl dich das Schreiben doch offensichtlich überhaupt nicht interessiert.» Mir ist klar, dass ich jetzt seinen wunden Punkt getroffen habe, so, wie er vorhin meinen erwischt hat. Dabei habe ich genau diese verletzenden Streitereien seit meiner Rückkehr zu meiden versucht wie der Teufel das Weihwasser.
«Also das ist wirklich weit unter der Gürtellinie», sagt er, die Stimme erhoben, die Augenbrauen gesenkt. «Und nur, damit du es weißt: Diesmal täuschst du dich sehr.»
«Schön», seufze ich. «Dann täusche ich mich eben.» Mich befällt ein seltsames Gefühl. Ich spüre, dass es mir eigentlich egal ist. Es ist eine ungewohnte Passivität, als hätte ich mich selbst irgendwie neutralisiert.
Doch Jack steigert sich hinein. «Ich kann nicht fassen,dass du wirklich so wenig an mich glaubst! Dass du mich für irgend so einen faulen Stümper hältst, der zu blöd ist, sich selbst den Hintern abzuwischen!»
«Ach du meine Güte», sage ich. «Komm wieder runter. Das habe ich doch nie gesagt.»
Ich ahne, wie sich das hier gleich zu einem Streit aus unseren früheren Tagen entwickelt, einer dieser Streite, die immer in bitteres Schweigen und halbherzige Entschuldigungen mündeten. Stets blieb ein Rest an Vorwürfen, die an unserer Beziehung nagten, bis wir eines Tages
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