Gestern fängt das Leben an
eigene Mutter an mein Kind weiterzugeben.
Henry war auf die anstehenden Veränderungen besser vorbereitet als ich. Vielleicht lag es auch daran, dass sich für ihn fast nichts veränderte. Der einzige Unterschied für ihn bestand in der üppigeren Quadratmeteranzahl, die wir jetzt bewohnten, und in einem längeren Fahrtweg zur Arbeit. Dagegen hatte sich für mich so gut wie alles geändert.
Im Rückblick betrachtet, war unser Umzug vielleicht der Augenblick, wo alles in Bewegung geriet.
Das neue Haus fühlte sich groß an, zu groß für mein bisheriges, wenn auch nicht mehr ganz so kleines Ich. Schwerfällig und gelangweilt schlich ich von Zimmer zu Zimmer, sah viel zu oft auf die Uhr und fragte mich, wann Henry endlich nach Hause kommen würde.
Heute ist mir klar, dass ich ihm hätte sagen sollen, wie hohl ich mich fühlte, wie sehr die Einsamkeit mir zu schaffen machte. Aber damals erschien mir das sinnlos. Wir hatten den Schritt nun mal getan und würden ihn auch so schnell nicht rückgängig machen können. Also wanderte ich durch unser riesiges Haus, verabredete mich mit Ainsley zum Powerwalken und ackerte wie wild an den kahlen Wänden und Zimmern, um ihnen etwas Leben einzuhauchen. Außerdem, sagte ich mir immer wieder, würde unser Baby bald da sein, und dann hätte ich alle Gesellschaft, die ich brauchte.
Als die Abende kühler wurden und die Blätter fielen, streiften Henry und ich, wenn er früh genug nach Hause kam, abends häufig noch durch die stillen Straßen der Nachbarschaft. Hand in Hand malten wir uns unsere Zukunft aus: das pfirsichfarbene Kinderzimmer, der zar
te
Duft von Babypuder, das Geräusch tapsender Schrittchen. Oder wir saßen auf unserem Sofa auf der Veranda, die Beine umeinandergeschlungen. Henry legte dann zärtlich die Hände auf meinen Bauch und spürte sprachlos dem neuen Leben nach, das in mir trat und boxte.
Irgendwie lernte ich, meine Einsamkeit zu verdrängen. Ich bildete mir ein, sie irgendwo abladen zu können, beim Lebensmittelladen an der Ecke vielleicht oder im Einkaufszentrum bei Pottery Barn. Nach jedem Besuch dort fuhr ich mit quietschenden Reifen davon und traute mich nicht, in den Rückspiegel zu sehen, aus Angst, sie hätte sich fest an meine Fersen geheftet.
13
Als Jack vom Krankenbett seiner Mutter zurückkehrt, kehrt er gleichzeitig mit frischem Tatendrang für seinen Roman zurück.
Während des Studiums hatte er, angestachelt von Vivian, einen Entwurf nach dem anderen geschrieben und umgeschrieben und nochmal umgeschrieben, ohne dass jedoch auch nur ein einziger es je bis zur Veröffentlichung gebracht hatte. Seine Professoren waren durchaus angetan, aber keiner seiner Texte hatte einen Preis eingeheimst, wie es bei so manchen seiner Kommilitonen der Fall gewesen war.
Ab und zu saßen wir mit einem Glas Wein auf seinem Futonbett und lasen zusammen. Jack kritzelte in seinem Manuskript herum oder murmelte irgendwas vor sich hin, dann reichte er mir eine Seite und umgekehrt. Er hatte mir vorher das Versprechen abgenommen, mich mit meinem Urteil zurückzuhalten. Und so gingen die Seiten hin und her, als wären wir eine fließende Einheit.
Nach dem Abschluss bekam er die begehrte Stelle beim
Esquire
, und ans Schreiben war erst mal nicht mehr zu denken. Aber Vivian verabreichte ihm intravenös eine Dosis Ambition, woraufhin Jack zu seinem Roman zurückkehrte – falls man es überhaupt so nennen konnte, denn soweit ich weiß, ist es in Wirklichkeit nie mehr gewesen als die holprigen Anfänge unzusammenhängender Kapitel.
«Weißt du», sagt Jack und setzt sich zu mir aufs Sofa, «alsich sie da in ihrem Bett liegen sah, so zerbrechlich, da ist es mir klargeworden, dass ich endlich in die Pötte kommen muss. Jetzt oder gar nicht.»
«Das klingt ja toll.» Ich versuche, meiner Stimme eine gewisse Begeisterung zu verleihen, denn ich habe schon zu viele dieser Fehlstarts erlebt. Viel zu viele.
«Ach, übrigens», sagt er, «Leigh hat mir erzählt, ihr wart gestern im Zoo und hattet viel Spaß zusammen. Ich bin also jetzt im Besitz der offiziellen Einwilligung meiner Familie zu unserer Verbindung.»
«Du brauchst die offizielle Einwilligung deiner Familie?» Ich richte mich auf und bemühe mich, nicht so verletzt zu klingen, wie ich mich fühle. «Du bist siebenundzwanzig Jahre alt, Jack. Und du brauchst ernsthaft ihre Zustimmung?»
Ich muss an Henry denken und daran, wie er mir nach seinem Antrag erzählt hat, dass er vor unserer Parisreise meinen Vater auf
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