Gestern fängt das Leben an
weißen Riemchensandalen von den kleinen Füßen. Ich lege sie in unser Bett, decke sie zu und beobachte, wie die Augenlider schwer und schwerer werden, als lägen kleine Sandsäckchen darauf. Megan knipst die Nachttischlampe aus, aber wir bleiben beide noch stehen, als wären wir im Schlafzimmer angewurzelt.
«Das mit vorhin tut mir leid», flüstert sie. «Das liegt an dieser ganzen Geschichte …»
Ich antworte nicht, sondern lausche einfach nur Allies sanften Atemzügen.
«Ich bin einfach so auf das Thema fixiert momentan», fährt sie fort. «Schwanger werden, schwanger bleiben … manchmal wird mir das alles zu viel.» Ihre Stimme bebt. «Als gäbe es auf der Welt nichts anderes mehr.»
Ich nehme ihre Hand und drücke sie fest und bestimmt. Es ist eine stumme Bestätigung dafür, dass ich sie verstehe, und dafür, dass sie nicht allein ist.
Irgendwann schleichen wir aus dem Zimmer; nicht, weil wir es unbedingt möchten, sondern weil es sich nach einer Weile seltsam anfühlt, einem kleinen Mädchen beim Schlafen zuzusehen, das nicht das eigene ist. Allie sieht jetzt aus wie ein Engel. Und sie erinnert mich sehr, zu sehr, an den Engel, den ich selbst einst besessen habe – und Megan vermutlich an den Engel, den sie sich so verzweifelt herbeisehnt.
Zum Abschied umarmen Megan und ich uns noch einmal ganz fest. Anschließend mache ich es mir auf der kratzigen, saublöden Couch bequem und beschwöre einen traumlosen Schlaf herauf. Doch stattdessen träume ich lebhafter als jemals zuvor. Ich träume von Katie. Von einem Engel, der auf meiner Türschwelle nicht länger zu Hause ist.
17
Die schwüle Oktoberluft in Miami bringt meinen Kreislauf derart in Aufruhr, dass jede einzelne Pore sich empört mit übermäßiger, unaufhaltsamer Schweißproduktion zur Wehr setzt.
Am zweiten Tag habe ich mich vollständig im Pool unserer Anlage niedergelassen, um meinem Körper wenigstens etwas Linderung zu verschaffen. Meine Finger sehen bereits aus wie Nacktschnecken, deshalb hieve ich mich aus dem Becken und lasse mich in den bereitstehenden Liegestuhl fallen. Augenblicklich greife ich zur Sonnencreme. Niemals ohne Sonnencreme!
«Willst du diesmal eigentlich überhaupt keine Farbe abkriegen?», fragt Jack und legt sein Buch auf den kleinen Mosaiktisch, der unsere Sonnenliegen trennt.
«Natürlich nicht!» Ich verziehe das Gesicht und verreibe mit Inbrunst die Creme auf meinen Unterarmen.
«Aber … du wolltest doch braun werden», sagt er verständnislos, als ich mich umdrehe und ihm die Flasche hinhalte, damit er mir den Rücken eincremt. «Das war einer der Gründe, warum ich Miami ausgesucht habe.»
«Die Sonne ist überaus schädlich!», verkünde ich und setze meinen Leinenhut auf. Die Krempe ist so groß wie ein Wagenrad.
Und es stimmt: Die gewissenhafte Zeitschriftenlektüre in meinem alten Leben hat mich alles über den Schrecken der Sonne gelehrt. Falten. Leberflecken. Melanome. Kritischbeäugte ich jeden einzelnen Leberfleck auf meinem Körper, nahm den Spiegel zur Hand, um auch die auf meinem Rücken in Augenschein zu nehmen, und verglich sie gewissenhaft mit den grauenhaften Abbildungen in den Artikeln. Katie durfte ohne Schutzfaktor 50 sowieso nie das Haus verlassen. Auch bei Regen. «Man kann nicht vorsichtig genug sein», wurde in einer Zeitschrift ein renommierter Dermatologieprofessor aus Stanford zitiert.
«Hm, okay», antwortet Jack verwirrt und schmiert weiter. «Aber letztes Jahr hast du noch den ganzen Sommer über im Park gelegen.»
Erinnere mich bloß nicht daran! ,
denke ich, und meine Haut zieht sich unwillkürlich zusammen bei dem Gedanken an den Schaden, den ich ihr in den vergangenen Jahren zugefügt habe.
Ich drehe meinen Kopf weg, drücke das Gesicht auf die Liege und gebe zur Antwort nur ein Stöhnen von mir. Jacks Finger bahnen sich behutsam einen Weg von den Schultern hinunter zu meinen Armbeugen und von dort zum Ansatz meiner … Brüste!
«Doch nicht jetzt! Und nicht hier!» Ich versuche, ernst zu bleiben, aber ich muss kichern.
«Doch, jetzt und genau hier», flüstert er mir ins Ohr.
«Es ist mitten am Nachmittag!»
Seine Hände schlängeln sich unter den Bikini. «Und wo ist das Problem?»
Er hat recht,
sage ich mir.
Nur weil es mit Henry Sex am Nachmittag nicht gab – auch wenn es das einzige Zeitfenster gewesen wäre, wo Katie schlief – , heißt das nicht, dass du jetzt nicht sofort mit Jack rauf aufs Zimmer rennen und über ihn herfallen sollst.
Ich
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