Gestern fängt das Leben an
uns zu gratulieren.
Ich stehe an das kühle Geländer gelehnt und strecke die linke Hand aus, um sie in Augenschein zu nehmen. DerRing strahlt förmlich: Er ist rund und glänzend und riesengroß und voller Hoffnung – und ich platze vor Stolz.
Eine kühle Brise, die aus dem Nichts aufgetaucht ist, lässt mich die Arme fest um mich schlingen. Dann legt sich der Wind, und ich löse die Arme und sehe wieder hinunter auf meine Finger.
Das war perfekt,
denke ich.
Nicht so intim wie Henrys Antrag, und Jacks Worte waren auch nicht halb so poetisch. Aber es war ganz nah daran, perfekt zu sein. Es war perfekt genug.
Vorsichtig lasse ich den Daumen über den Ring gleiten und versuche unbewusst, ihn hin- und herzudrehen, wie ich es mit dem von Henry immer gemacht habe. Erst da merke ich, dass mir der Ring fast das Blut abschnürt. Er sitzt so eng, dass der obere Teil meines Ringfingers aussieht wie eine abgebundene Wurst. Ich hebe die Hand vor die Augen und halte sie ans Licht. Zuerst ist es kaum zu sehen, aber dann fühle ich es pochen: Da, direkt neben dem Knöchel ist ein winziger, blutiger Riss, nicht größer als ein Papierschnitt. Jack muss mich verletzt haben, als er mir den Ring ansteckte.
Ich hebe die Hand zum Mund und sauge an der pochenden Wunde. Der unverwechselbare Geschmack von Blut breitet sich über meine Zunge aus. Wenig später lässt der Schmerz nach. Ich sehe mir den Knöchel noch einmal an, drehe die Hand im schwachen Dämmerlicht der weißen Lämpchen hin und her, aber soweit ich es beurteilen kann, ist der Schnitt verschwunden.
Jack spricht noch immer mit der Barfrau. Ich sehe zu ihm hinüber und lächle ihn an.
Trotzdem fragt mich eine innere Stimme, meine Vorstadtstimme,die noch immer in meinem Verstand herumfuhrwerkt, ob diese kleine Wunde wirklich heilt, auch wenn sie bereits unsichtbar geworden ist?
KATIE
Als Katie sieben Monate alt war, hatten die meisten meiner Babyphantasien sich erfüllt: Im Haus duftete es nach Babypuder, und ihr Lächeln wärmte mich bis hinunter in die Zehenspitzen. Aber es lauerte auch eine ständige Angst, etwas falsch zu machen – und die äußerte sich in übertriebener Fürsorge.
Henrys nächste Beförderung ließ uns kaum mehr gemeinsame Zeit ohne Katie. Die Gespräche zwischen uns wurden schal und drehten sich meistens (und dann ausschließlich) um Katie.
«Katie hat heute fünfmal in die Windel gemacht!» , sagte ich, als wir uns an den Tisch setzten, um den gegrillten Lachs zu essen, den ich am Vorabend gewissenhaft mariniert hatte. «Kannst du das glauben? Fünfmal!»
«Willst du den Arzt anrufen?» , fragte Henry, nicht ganz bei der Sache.
«Es sah eigentlich ganz normal aus» , antwortete ich. «Also, nicht übermäßig flüssig.»
«Na ja, wahrscheinlich isst sie einfach gern.»
«Wie ihr Papa» , sagte ich und lächelte.
Henry grinste und senkte die Gabel in seinen Fisch. Krampfhaft suchte ich nach weiteren Neuigkeiten, mit denen ich ihn auf dem Laufenden halten konnte.
Im wirklichen Leben enden die meisten Ehen nicht mit einem einzigen Riesenknall. Anders als im Kino stolpern
Ehefrauen nicht einfach über Lippenstift am Hemdkragen oder eine Hotelquittung in der Jackentasche. Nein, die meisten Ehen gehen schleichend kaputt. Tropfen für Tropfen werden sie ausgehöhlt. Wie Wasser, das einem unmerklich aus der hohlen Hand läuft, bis man plötzlich merkt, dass kein Tropfen mehr übrig ist. So versickern die meisten Ehen, bis sie schließlich auf dem Trockenen liegen.
Im Rückblick betrachtet, ist auch meiner Ehe genau das passiert.
«Oh» , sagte ich an jenem Abend überrascht beim Essen. «Ich habe vergessen, dir etwas zu erzählen. Heute ist Katie fast gekrabbelt! Sie robbt sich schon ein bisschen vor und zurück … Und Ainsley sagt, bei Alex war es eine Woche, bevor er richtig mit dem Krabbeln angefangen hat, genauso.»
«Dann ist sie ja praktisch bereit, nach Harvard zu gehen» , erklärte Henry und hob spöttisch das Glas zum Toast.
«Wo wir gerade dabei sind, wir sollten uns mit dem Thema Vorschule befassen» , antwortete ich und begann mit meinem Vortrag zu den örtlichen Schulen.
Wir waren zwei Menschen, die ihr gemeinsames Leben in konzentrischen Kreisen führten, bis unser Kind das Einzige war, das uns noch am Boden hielt, das unsere Kreise ab und zu noch zusammenführte. Und so umkreisten wir einander weiter und weiter. Und gelangten doch nirgendwohin.
18
Ende Oktober ist die Zeit endlich reif, meinen
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