Gestern fängt das Leben an
drücke mich von der Liege hoch, schlinge mir ein Handtuch um die Hüften und packe ihn am Arm. Wir rennen hoch in unser Zimmer, aneinander zerrend, ziehend, kratzend, bis ich zwanzig Minuten später nackt auf dem Bett zusammengerollt liege und den süßlichen, leicht schwitzigen Geruch aus Sonnenmilch und Sex einatme. Dank eines viel zu kalten Luftstroms aus der Klimaanlage habe ich endlich aufgehört zu schwitzen. Kurz bevor ich in einen wohligen Schlaf wegdämmere, den die Kombination aus Sex und zu viel Sonne mit sich bringt, dreht sich Jack neben mir auf dem Laken um.
«Gott!», sagt er. «Ich könnte für immer hier neben dir liegen.»
Für immer
, denke ich,
was ist das
?
Anstatt einer Antwort lege ich eine Hand auf sein klopfendes Herz und schlafe kurz darauf ein.
***
Das Restaurant, das Jack zum Abendessen ausgesucht hat, ist unglaublich hip. Helle Granitwände, riesige Bambusbüsche und zahlreiche Frauen, die wie Models aussehen. Meist muss ich zweimal hingucken, weil ich nie weiß, ob ich sie persönlich kenne oder mir ihr Gesicht nur aus einer meiner geliebten Zeitschriften bekannt vorkommt.
Wir werden an einen Tisch weiter hinten geführt, weg von der lauten Bar und der noch lauteren Musik. Und obwohl ich jetzt schon fast drei Monate wieder zurück in meinem alten Leben bin, befällt mich ein surreales Gefühl. Fast wie ein Déjà-vu, nur eben nicht ganz, weil ich ja weiß, dass ich hier noch nicht gewesen bin. An diesem Abend vorsieben Jahren war ich nämlich nicht in Miami, sondern an einem schicksalhaften Punkt in meinem Leben: Es war der Abend, an dem ich meine Leinen zu Jack endgültig kappte, denn die Begegnung mit Henry gab mir die nötige Sicherheit dazu.
In den Wochen vor unserer Trennung war die Stimmung zwischen uns immer schlechter geworden. Schließlich war der kritische Punkt erreicht, und als Jack dann – wieder mal – verkündete, er wolle am Wochenende seine Mutter besuchen und mich – wieder mal – nicht bat, mitzukommen, platzte mir der Kragen.
Doch er zeigte kein Verständnis. «Das ist einfach lächerlich!», rief er so laut, dass unsere Nachbarn auch noch was davon hatten. «Sie ist meine Mutter! Es ist nur ein Wochenende!»
«Es geht hier nicht um deine Mutter!», schrie ich zurück. «Es geht um …» Ich schüttelte den Kopf und fuchtelte mit den Armen. «… um das hier! Um all das hier!»
Den Mann mit den warmen Augen, den ich in der Bar getroffen hatte, ließ ich dabei unerwähnt. Henry hatte in dieser Diskussion nichts zu suchen.
«Willst du, dass ich nicht zu ihr fahre?» Er knallte den Koffer aufs Bett. «Ist es das, was du willst? Wenn du nicht willst, dass ich fahre, dann bleibe ich eben hier, verdammt nochmal!»
«Darum geht es nicht», sagte ich entschlossen. Leise fügte ich noch hinzu: «Es geht um viel mehr als das.»
«Nur weil wir uns so häufig streiten?», fragte er irritiert. «Geht es hier um unsere blöden Streitereien? Alle streiten sich, weißt du?
Alle!
»
«Es geht nicht um unsere Streite, Jack», erwiderte ich,doch dann dachte ich noch einmal darüber nach. «Doch, es geht um die Streite. Irgendwie. Ich habe einfach das Gefühl, wir passen nicht mehr zusammen.» Wieder dachte ich an Henry.
«Das ist doch Blödsinn!», sagte Jack. Er hatte inzwischen ebenfalls aufgehört zu schreien, dafür sah er jetzt aus, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. «Absoluter Blödsinn. Zwei Jahre meines Lebens, und dann das. Aus dem Nichts!»
«Es kommt nicht einfach aus dem Nichts», sagte ich empört und setzte mich aufs Bett.
«Es kommt absolut aus dem Scheißnichts!», antwortete er, nahm seinen Koffer und trug ihn zur Wohnungstür. «Genau wie deine verdammte Mutter! Eben noch verschwunden, und plötzlich taucht sie wieder auf.»
Dann fiel die Tür ins Schloss, und das war der Moment, wo ich zu weinen anfing.
Im Rückblick betrachtet, denke ich, dass der Eklat vielleicht durchaus zu verhindern gewesen wäre. Denn auch, wenn das, was Jack gesagt hatte, gemein war, so könnte doch etwas Wahres daran gewesen sein. Am Tag zuvor hatten wir noch fröhlich mit Meg und Tyler zusammengesessen und auf unser Glück angestoßen, und jetzt das. Ja, ich verstand, wieso Jack das Gefühl hatte, es sei aus dem Nichts gekommen.
Aber das ist die Einschätzung von der Warte meines neuen, gezügelten Temperaments aus. Heute würde ich mir bissige Kommentare über Jacks schwache Leistung verbieten und meine angeborene Arroganz rigoros
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