Gestern, heute - jetzt
während sich eine Idee in ihm ausbreitete. Caverness war Simones Zuhause, Angels Landing das seine. Es schien nur fair, an beiden Orten dieselbe Zeitspanne zu verbringen. „Ich möchte, dass das Weingut hier in Maracey an meine Kinder übergeht. Als Gegenleistung schenke ich dir jedes Jahr die restlichen sechs Monate meiner Zeit. In dieser Phase werde ich so viel wie möglich über Staatsführung lernen. Wenn du mir gestattest, dieses Arrangement zehn Jahre lang zu führen, dann kannst du mich danach als deinen Erben einsetzen.“
„Abgemacht“, sagte Etienne sofort.
So viel zu zähen, schwierigen Verhandlungen.
Dennoch gab es einen Punkt, den er unbedingt klarstellen musste. „Eines musst du allerdings wissen. Ich werde meine Pflicht gegenüber dem Königreich niemals vor Simone und meine Kinder stellen. Ich bin nicht wie du.“
„Darüber bin ich froh“, versetzte Etienne ruhig. „Ich bin froh, dass dich eine solche Liebe erfüllt.“
Rafe schaute seinen Vater an, und zum ersten Mal erkannte er die Einsamkeit des Mannes, der scheinbar so mühelos die Geschicke eines ganzen Landes lenkte.
„Ich habe nicht immer die richtige Wahl getroffen, Rafael“, erklärte er leise. „Ganz besonders was dich und deine Mutter angeht. Das wissen wir beide. Aber es war die einzige Entscheidung, die mir damals möglich zu sein schien.“
Etienne gab keine weitere Entschuldigung ab, keine Erklärung, die über diese wenigen Worte hinausging. Doch Rafe hatte inzwischen ein paar Bruchstücke der dramatischen Geschichte aus den Zeitungen und auch aus den Informationen der Mitarbeiter seines Vaters aufgeschnappt. Etiennes Eltern waren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, woraufhin der junge Prinz sofort nach seinem Studienabschluss in Frankreich und seinem Aufenthalt in der Champagne nach Maracey zurückgekehrt war und den Thron übernommen hatte. Nur wenige Wochen später heiratete er die wesentlich ältere, politisch versierte Mariette Sulemon – eine strategische Verbindung, die dennoch glücklich gewesen war, abgesehen von der Tatsache, dass das Paar keine Kinder bekam.
Wann hatte Etienne von Josiens Schwangerschaft erfahren, fragte sich Rafael. Vor oder nach seiner Heirat? Josien war der verschlossenste Mensch, den er kannte – von sich selbst einmal abgesehen, wie er sich mit einem gewissen trockenen Humor eingestand. Hatte Josien ihm überhaupt jemals gesagt, dass sie ein Kind von ihm erwartete?
Rafe erhob sich und ging auf die Tür des Schlafzimmers zu. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es Simone gut ging. Er wollte ihr helfen, einen leichteren Schlaf zu finden, doch danach … Rafael blieb stehen und drehte sich langsam um. Er schaute nie zurück, aber diesmal tat er es doch. Eine bemerkenswerte Frau hatte ihm einmal gesagt, dass er es tun sollte. „Wirst du auf mich warten? Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.“
„Ich warte“, versicherte Etienne.
„Ich würde danach gern mit dir sprechen.“
„Worüber?“ Etiennes strahlende Augen kamen ihm unglaublich bekannt vor. „Haben wir nicht gerade schon die Welt neu organisiert?“ Auch sein Lächeln war vertraut.
„Nein, nur die Zukunft.“ Rafael holte tief Luft. Es war an der Zeit. Mehr als das. „Ich möchte, dass du mir von Josien erzählst.“
Simone wachte auf und stellte fest, dass sie in einem halbdunklen Raum lag und eine sanfte Brise durch eine der geöffneten Balkontüren zu ihr hereinwehte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie hierhergekommen war. Das Letzte, was ihr im Gedächtnis haften geblieben war, war die brennende Sonne von Maracay und ein neugieriger kleiner Welpe.
Sie legte eine Hand an die Schläfe, weil sie einen unangenehmen, pulsierenden Kopfschmerz empfand. Die Geste erzeugte eine Bewegung am Rand ihres Sichtfelds. Als sie den Kopf vorsichtig drehte, sah sie Rafael auf ihrer Bettkante sitzen. Das Gesicht eines düsteren Engels. Die Seele eines Kriegers. Ein Herz, das nicht ihr gehörte.
Jetzt erinnerte sie sich, wo sie war.
„Hey“, murmelte sie.
„Selber hey“, entgegnete er. Sein Gesichtsausdruck entspannte sich. Er wirkte erleichtert. „Wie geht es dir?“
Sie hatte sich schon mal besser gefühlt. „So, so, la, la. Was ist passiert?“
„Du bist im Weinberg in Ohnmacht gefallen, weil du einen Hitzschlag bekommen hast. Aber dem Baby geht es gut.“
Gott sei Dank. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie den ganzen Tag verschlafen. Ein rascher Blick auf die Uhr
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