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Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mairisch
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»gesund und kräftig.«
    »Na ja«, sage ich, »man kann nie wissen, man muss vorsichtig sein.«
    Astrid lacht, als hätte ich einen Witz gemacht und in ihr Lachen hinein sagt Willem:
    »Elli, wollen wir in die Küche gehen?«
    Ich sage: »Ja, aber passt auf, dass der Behinderte euch nicht anspringt«, und drehe mich um und finde mich witzig und fies, aber das geht in Ordnung, ich finde, ich darf fies sein. Ich drehe mich sofort wieder um, mein Umdrehen war nur ein Täuschungsmanöver, und ich sehe, dass sie sich ansehen, sehe Astrids flehenden Blick und Willem, den kleinen, dicken Willem, der sich aufgeplustert hat, um zu zeigen: Mein Zuhause, ich habs im Griff, mach dir keine Sorgen. Und ich stoße einen kurzen Lacher aus, nicht, weil ich lachen müsste, sondern weil ich finde, dass sie sich das verdient haben und gehe auf Astrids Bauch zu, vor den sie sich den Kleinen geschnallt hat. Ich komme Luka ganz nah mit meinem Gesicht und der Kleine guckt trüb und ziemlich unwiderstehlich babyhaft, ich streiche ihm über die Nase. Er ist wirklich winzig. Wir gehen in Richtung Küche. Astrid sieht sich um und wahrscheinlich wundert sie sich, wie normal hier alles aussieht. Ich wette, sie hat gedacht, hier würde es drunter und drüber gehen und alle wären verrückt und laut und stattdessen steht sie jetzt in unserem ganz gewöhnlichen Flur mit Garderobe, mit Bildern an der Wand und frisch gestaubsaugtem Boden.
    Als wir allerdings um die Ecke biegen und auf die Küche zugehen, steht plötzlich Tom vor uns, mit runtergelassener Hose und seinem ernsten Blick. Wir bleiben stehen, allesamt. Hätte ich mir denken können, dass er aufgeregt ist. Ich hab mich selten so über diesen Anblick gefreut. Ich warte zwei Sekunden, länger halte ich es nicht aus, dann drehe ich mich um und sehe direkt und voller Spannung in Astrids Gesicht. Astrid reagiert sofort und lächelt verständnisvoll, aber ich habe noch die Reste ihres Entsetzens gesehen. Willem geht vor und guckt Tom in die Augen und Tom zieht die Hosen wieder hoch. Er nimmt Willem in den Arm, sagt »Elli, Elli«, dann setzen wir uns.
    Astrids Finger tippeln auf dem Küchentisch. Mit einer Hand streichelt sie den Kopf von Luka, ihr Bein wippt unruhig hin und her. Sie sieht mich immer wieder an, versucht den Blick zu halten, wenigstens kurz, und lächelt. »Schön habt ihr es hier!«, sagt sie irgendwann.
    »Findest du«, antworte ich, »ich finds hässlich, hat Großmutter vor Jahren gekauft, Billigeinbauküche. Na ja, Geschmackssache.«
    Willem nimmt Astrid Luka ab, setzt sich neben mich und führt ihn mir vor. Luka kann gar nichts. Er ist einfach nur klein und angenehm ruhig für so ein kleines Ding. Er hat ein rotes, knautschiges Gesicht und manchmal verirrt sich einer seiner winzigen Arme etwas in die Höhe, er scheint kein bisschen Kontrolle über seinen Körper zu haben. So was von hilflos. Ich nehme Luka auf den Arm.
    »Astrid«, sagt Astrid ganz offensiv und steht auf und streckt Tom die Hand hin. Tom steht immer noch und ist ein bisschen durcheinander und kann sich nicht entscheiden, wie er es finden soll, dass die Küche voller Menschen ist. Er reagiert nicht auf Astrid, ihre Hand liegt unnütz in der Luft.
    »Ach«, sage ich, »lass mal, Astrid, das schnallt der jetzt nicht.« Ich zeige auf die Treppe, die vor der Küchentür in den ersten Stock führt. »Als der klein war, ist er da runtergesegelt und hat sich den ganzen Kopf zermatscht. Da muss man echt aufpassen. Der war früher mal ganz normal, geht so schnell so was. Ganz schnell.« Und ich schnipse einmal mit Daumen und Mittelfinger.
    »Magst du was trinken, mein Schatz?«, fragt Willem.
    »Nein, danke«, sage ich und Willem macht: »Haha.«
    »Tom, guck mal«, sag ich, »das ist dein kleiner Bruder.«
    Astrid lacht besorgt, Tom kommt näher und ich tue so, als würde ich ihr besorgtes Lachen nicht verstehen und sage: »Bruder, Neffe, bis ich ihm den Unterschied erklärt hab, dem Behinderten.« Und ich grinse sie kackfrech an. Astrid lacht verlegen. Sie ist ängstlich.
    Ich sage: »Tom, willst du deinem kleinen Bruder nicht mal dein Zimmer zeigen?« Ich halte ihm den Kleinen hin und Astrid ächzt. Tom nimmt Luka liebevoll in den Arm und stülpt ihm seine großen, feuchten Lippen über die Nase. Astrid hastet zu Tom und will ihm zeigen, wie er den Kleinen halten muss, und Tom denkt, dass sie ihm Luka wieder wegnehmen will und sieht sie mit seinem bösen Blick an und grunzt, dann dreht er sich um und verlässt

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